Aus der Geschichte lernen I: Nicht so innovative Finanzinnovationen | Finance Watch

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Aus der Geschichte lernen I: Nicht so innovative Finanzinnovationen

Finance Watch Aus der Geschichte lernen I: Nicht so innovative FinanzinnovationenJoseph de la Vega (1650-1692) war ein portugiesischer Jude, dessen Familie nach Amsterdam emigrierte, um der Inquisition in Spanien und Portugal zu entkommen. Er arbeitete als Bankier, Kaufmann und Schriftsteller. Im Jahre 1688 veröffentlichte er die “Confusion de Confusiones” (dt. “Verwirrung der Verwirrungen”) auf Spanisch. Das “Buch” ist eine vierteiliger Dialog zwischen einem Philosophen, einem Kaufmann und einem Aktionär. Trotz manch uneindeutiger und schlechter Formulierungen ist Confusion de Confusiones ein Meilenstein in der Finanzgeschichte, da es zum ersten Mal eine exakte Beschreibung des Börsengeschehens liefert. Dem heutigen Leser werden viele der beschriebenen Phänomene erstaunlich vertraut erscheinen.

Um den frühen Amsterdamer Börsenmarkt zu verstehen, ist es wichtig, sich ein wenig mit dem Kontext zu befassen. Die Aktie der Niederländischen Ostindien-Kompanie (Oost-Indische Compagnie Vereenigde oder VOC) war die am meisten gehandelte. Die VOC wurde im Jahre 1602 gegründet und hatte sich das Monopol für den Kolonialhandel in Asien gesichert. Auch die Aktie der West India Company wurde gehandelt, jedoch in geringerem Umfang.

Finance Watch Aus der Geschichte lernen I: Nicht so innovative FinanzinnovationenIm Jahre 1688 existierten Derivate (sog. Finanztermingeschäfte) für Waren wie Gewürze und Getreide bereits seit geraumer Zeit, Aktien dagegen waren noch eine relativ neue Erfindung. Der Stückpreis einer VOC-Aktie war sehr hoch (17.000 Gulden im Jahre 1688). Daher bestand ein großes Interesse darin, Derivate zu entwickeln, die Risiken eindämmten und erschwinglicher waren. Und so geschah es dann auch. In der Einleitung zur Übersetzung der Dialoge erklärte H. Kellenbenz, dass “die Holländer,vielleicht unter Mithilfe einiger Mitglieder der ‘portugiesischen Nation ‘, innerhalb einiger Jahrzehnte Verfahren und Strategien entwickelt haben, die moderne Betreiber kaum mehr zu verbessern wussten”. Mit anderen Worten: Die wichtigsten Finanzinstrumente der heutigen Zeit existierten bereits im Amsterdam der 1680er Jahre: Termingeschäfte, Optionen, Margin Calls …

De la Vega unterscheidet drei Arten von Investoren: “Handelsfürsten”, “Händler” und “Spekulanten”. Er behauptet, der Markt entwickele sich zu einem “Spiel”, je größer der Anteil von Spekulanten auf ihm wird. Er hätte genauso gut über den heutigen Handel mit Warenderivaten schreiben können, der Ähnliches befürchten lässt. Das hat zu Kampagnen gegen “Nahrungsmittelspekulation” geführt und daher ruft auch Finance Watch dazu auf, übermäßiger Spekulation an den Rohstoffmärkten einen Riegel vorzuschieben (siehe Seite 38 unseres Berichts “Investieren, nicht spekulieren“).

Wachsender Anteil von Spekulanten auf den Rohstoffmärkten

Über Regulierungmaßnahmen erzählt De la Vega eine andere bemerkenswerte Geschichte. Frederick Henry, Prinz von Oranien, der bis 1647 in den Niederlanden regierte, hatte Leerverkäufe verboten. Um die Maßnahme durchzusetzen, gab er den Käufern die Möglichkeit “Frederick anzurufen”, d.h. solche Verträgen zu annullieren. De la Vega ist der Ansicht, dass dadurch im Endeffekt Spekulationen noch weiter zunahmen, weil man mithilfe von Leerverkäufen spekulieren und, falls etwas schief gelaufen war, die Zahlung einfach verweigern konnte.Heute sind Leerverkäufe zwar besser organisiert, bleiben jedoch weiterhin umstritten und werden immer wieder gesetzlich neu geregelt, so wie im Jahr 2012.Finance Watch Aus der Geschichte lernen I: Nicht so innovative Finanzinnovationen

Die Komplexität des Marktes spiegelte sich in seinem verwirrenden Wortschatz wider: “Ich hatte wirklich den Eindruck beim Turmbau zu Babel dabei zu sein, als ich das Sprachen-Wirrwarr an der Börse hörte”, schrieb De la Vega (Dialog II).

Im Dialog IV wird eine erstaunlich subtile Strategie in zwölf Schritten beschrieben, die von Spekulatorengruppen entwickelt wurden, um den Preis der Aktien nach unten zu drücken. Die Interessenkonflikte von Brokern werden bestens beschreiben: “Der betroffene Broker machte auf eigene Rechnung Geschäfte […]. Wenn er einen Auftrag erhält, dessen Ausführung ihn in eine Richtung führt, die seinen eigenen Tranksaktionen entgegengesetzt ist, bebt sein Herz […] und er geht elendig zugrunde und stirbt als Narr, es sei denn, er ist … geschickt genug, um der Gefahr zu entkommen.” Die Sprache ist ein wenig blumiger als in der Volcker-Regel (eine verschärfte Regel für den Eigenhandel der großen US-Banken) oder in den Empfehlungen, die Finance Watch zum Eigenhandel hat, jedoch hat sich an dem zugrundliegenden Problem anscheinend wenig geändert.

De la Vega erklärt außerdem, inwiefern mangelnde Transparenz es Spekulanten ermöglicht, Preise zu manipulieren und Gerüchte zu verbreiten. Die LIBOR-Skandal hat, so scheint es, auch eine lange Tradition.

Lassen Sie sich nicht täuschen: Natürlich hat es im Laufe der Geschichte einige Innovationen auf den Finanzmärkten gegeben, aber der Boom des Finanzsektor in jüngstert Zeit, ist vor allem auf Deregulierung zurückzuführen, nicht auf Erfindungsreichtum.

Fabien Hassan

Wenn Sie mehr wissen wollen:

Joseph de la Vega, Confusion de Confusiones, 1688, Portions Descriptive of the Amsterdam Stock Exchange, Baker Library, Harvard Graduate School of Business Administration, 1957, Einführung von Hermann Kellenbenz.

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