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Aus der Geschichte Lernen X – Von London nach Paris. Wie massive öffentliche Schulden und unbeaufsichtigte Finanzinnovation zu den Spekulationsblasen in den 1720er Jahren führten

Financial self-defense
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Dies ist der zehnte Artikel einer ganzen Serie unter dem Titel “Aus der Geschichte lernen”, die zu den aktuellen Problemen der Finanzmärkte einiges (durchaus erhellendes) historisches Hintergrundwissen bietet.

Im 18. Jahrhundert sahen sich sowohl England als auch Frankreich mit ähnlichen Problemen durch eine massive Verschuldung der öffentlichen Haushalte konfrontiert, die sie mithilfe neuer Finanztechniken zu lösen versuchten. John Law, ein berühmter schottischer Ökonome, hatte ein raffiniertes System erfunden, von dem er sogar das französische Königshaus überzeugen konnte. Am Ende jedoch ist daraus nur eine riesige Spekulationsblase gewachsen, und irgendjemand musste schließlich für die Verluste aufkommmen…

Kleine Straßen, große Gewinne

Die Rue Quincampoix ist eine kleine, schmale Straße im Herzen von Paris, ganz in der Nähe der ehemaligen Markthallen „Les Halles“ gelegen. Heute ist es ein lebendiger Ort mit vielen Bars, in denen Pariser wie auch Touristen gerne Zeit verbringen. Es ist nur schwer vorstellbar, dass diese friedliche Straße einige Jahrhunderte zuvor Schauplatz des größten Finanzskandals in der französischen Geschichte war: die Mississippi-Spekulation.

Es ist kein Zufall, dass sich die ersten Börsenaktivitäten im engen Straßengewirr mittelalterlicher Stadtviertel entwickelten. Das war auch in London der Fall. Im späten 16. Jahrhundert, als der Aktienhandel Fahrt aufnahm, wurde das Gebäude der „Royal Exchange“ gebaut, in dem die Londoner Börse beheimatet war. Diese monumentalen Bauwerke, quasi die Tempel des Finanzwelt, waren das perfekte Symbol für die Macht einer neuen Kapitalistenklasse. Als Handelsplatz waren sie dennoch eher ungeeignet. Tatsächlich waren die meisten Aktionäre nicht-adliger Herkunft, und den Adeligen fiel es schwer, sich unter sie zu mischen. Zudem fand der Handel überwiegend mündlich statt, beispielsweise in Kaffeehäusern in London, die berühmtesten davon lagen in der Exchange Alley. Kleinere Straßen waren hervorragend für den Handel auf den frühen Finanzmärkten geeignet: Die hohe Dichte von Bars und Gasthäusern erlaubte es den Händlern, einander zuzurufen oder einfach mit einem Papier über die Straße zu laufen, um einen besseren Deal abzuschließen.

Aber zurück nach Paris. Im Jahre 1720 fand dort ein fröhlicher Handel mit den Aktien der Mississippi-Kompanie und einer bunten Schar an assoziierten Derivaten statt. In beeindruckend kurzer Zeit ließen sich damit Gewinne erzielen. Aber Ende Mai platzte dann die Mississippi-Blase; das Vertrauen der Franzosen in den Kreditmarkt war damit drei Generationen lang zerstört. Wie konnte es dazu kommen?

Unter den Teppich gekehrt

Im Laufe des 18. Jahrhunderts war das französische Königshaus permanent in Finanznöten. Statt jedoch das überholte Steuersystem des Landes zu reformieren, haben die Herrscher einer nach dem anderen versucht, die Staatsschulden auf magische Weise verschwinden zu lassen. Noch kurz vor der französischen Revolution wurde mit den „Dreißig Genfer Mädchen“ eine besonders originelle Technik genutzt.

In den 1710er Jahren wurde eine neue raffinierte Technik entwickelt. Auf Anraten eines sehr charismatischen und begabten Volkswirts aus Schottland, John Law, bediente sich der französische Regent eines Debt Equity Swaps (Schuldenswap, Umwandlung von Schuldtiteln in Aktien), wie man es heute nennen würde. Ziel war es, die jährliche Schuldenlast des französischen Staates zu senken. Fairerweise muss dazu gesagt werden, dass der Regent nicht nur Schaden zog aus Law’s Überzeugungskraft. Er hatte selbst in die Spekulationsblase investiert und dabei ein Vermögen gemacht, während Kleinanleger eine Menge Geld verloren. In weiten Teilen kam die Idee für diesen Swap aus dem Land des Erzfeinds, England.

Die Südseeblase

In England beschränkte sich der Schuldenswap auf die South Sea Company. Bei einem Swap handelt es sich um eine kompliziertes Verfahren, um Schulden zu verwalten. Zu jener Zeit existierten Staatsschulden zumeist in der Form von Annuitäten. Das ist ein konstanter Geldbetrag, den eine Person normalerweise bis zu ihrem Tod jährlich erhält, um das vor ihr einst geliehene Geld zurückzuzahlen. Der Swap war eine Art Angebot des Staates an seine Gläubiger, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Schuldtitel gegen Aktienanteile eines staatseigenen Unternehmens einzutauschen.

Wie kann man daraus Profit schlagen? Der Gläubiger erhält anstelle einer nicht übertragbaren Annuität einen handelbaren und liquiden Vermögenswert. Im Gegenzug für diese zusätzlichen liquiden Mittel leihen die Gläubiger Geld zu niedrigeren Raten. Der Schuldner kann so die Kosten seiner Schuldenlast senken. Das wäre in etwa so, als ob die deutsche Bundesregierung ihren Gläubigern im Austausch für Staatsanleihen Aktien der Deutschen Bahn anbieten würde. Im Unterschied zu damals sind die Staaten heute jedoch selbst die größten Kreditnehmer und Staatsanleihen sind somit liquider als Aktien.

Das Verfahren schien nur Gewinner zu haben, so erklärt sich auch der große Erfolg der ersten Umtauschaktionen. Die andere Seite der Medaille war jedoch, dass Menschen sich der Kraft von Finanzinnovation gewahr wurden. Und dann nahm alles zu große Ausmaße an. Im Sommer des Jahres 1720 sind fast alle englischen Staatsannuitäten in Aktienanteile eines einzelnen Unternehmens umgetauscht worden, die der South Sea Company. Ein Unterehmen, das kaum je wirtschaftlich aktiv war. Es wurde zu einem reinen Finanzvehikel.

Die Implosion der Blase

Den Großteil des Vermögens der South Sea Company machten die Zinszahlungen aus, die der Staat ihr im Gegenzug dafür zahlte, dass sie seine Schuldverpflichtungen in die eigenen Handelsbücher übertrug. Wenn der Staat nicht zahlte, tat die Kompanie das, was sie immer schon am besten konnte: kapitalisieren. Anders gesagt, die Rückstände bei der Schuldenrückzahlung wurden einfach zu den restlichen Schulden hinzugefügt und… in Aktien umgewandelt. Der Mechanismus schien magisch zu sein: Je knapper der Staat bei Kasse war, desto mehr Geld machte die South Sea Company. Aber der Wert einer Aktie kann sich nur dann dauerhaft stabil halten, wenn die erwarteten Dividenden ausgeschüttet werden. Im Schnitt zahlte der Staat rund 4% Zinsen, während der Aktienpreis implizite Renditeerwartung von 8 bis 10 % widerspiegelte. Als die Anleger sich schließlich dessen bewusst wurden, zerplatzte die Blase im Sommer 1720. In Frankreich geschah genau das Gleiche mit der Mississippi Kompanie. Tatsächlich machte John Law hier noch von weitaus komplexeren Strategien Gebrauch, die auch Währungsmanipulation umfassten.

Es ist schwierig zu sagen, welche Konsequenzen die Geschäfte genau hatten: Die Mississippi und South Sea Company waren auf kurze Sicht vielleicht profitabel für die französischen und englischen Regierungen, da Schuldtitel als Aktien gehandelt wurden, die sich als wertlos erwiesen. Dabei wurde allerdings das Vertrauen der Menschen in staatliche Kreditaufnahme untergraben. Die öffentlichen Haushalte haben sich in Frankreich nach der Revolution nie wirklich erholt.

Genauso schwierig ist es, die impliziten Kosten genau zu beziffern; oft werden sie ganz vernachlässigt. Wenn heute westeuropäische Staaten allen ‚systemrelevanten‘ Finanzinstituten eine implizite Staatsgarantie geben, dann bedeutet das nicht zwangsläufig, dass sie Geld ausgeben. Kurzsichtig betrachtet könnten Bankenrettungen sogar profitabel sein. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass diese Staatsgarantie mit extremen Kosten verbunden ist, das sie im gesamten Wirtschaftssystem zu Verzerrungen führt und die Finanzstabilität gefährdet, die wiederum zu einer Rezession führen kann.

Nichts Neues unter der Sonne

Unterschiedliche Faktoren haben zu den Südsee- und Mississippi-Blasen geführt. Ohne massive Korruption im Parlament, das Fehlen eines gesetzlichen Rahmens, die Begeisterung für alles Neue, Insiderhandel in großem Ausmaß etc.wäre es niemals soweit gekomen. Ein wesentliches Charakteristikum dieser Spekulationsblasen ist jedoch die Tatsache, dass sich nützliche Finanzinnovation in einen massiven Betrug verkehrt hat, was nur möglich war, da keine rechtlichen oder politischen Grenzen gegen die Exzesse des einfachen Geldes gezogen wurden.

In der Tat war die Mississippi-Kompanie eine erfolgreiche Handelsfirma, die in Lousianna Handel betrieb und beim Aufbau New Orleans‘ mitwirkte. Als der Swap das erste mal durchgeführt wurde, machte er tatsächlich Sinn. John Law, der Erfinder des Systems, war ein außergewöhnlicher Mathematiker und ausgezeichneter Spieler. Allerdings musste er letztlich aus Frankreich fliehen, so wie er bereits in seiner Jugend aus England fliehen musste, nachdem er einen Nebenbuhler in einem Duell getötet hatte.

John Law hat eine faszinierende Persönlichkeit. Am Ende seines Lebens befand er sich in Venedig, wo er in seinen letzten Jahren eine beeindruckende Gemäldesammlung zusammenstellte. Zur gleichen Zeit, im Jahre 1721, sah sich das englische Parlament veranlasst, den sogenannten „Act for Making Several Provisions to Restore the Publick Credit“ (Gesetz zur Wiederherstellung der öffentlichen Kredite) zu erlassen, die erste staatliche Rettungsmaßnahme in der Geschichte. Mit dem Geld der Steuerzahler wurde das englische Finanzsystem vor seinen eigenen Exzessen gerettet. Kommt Ihnen das nicht bekannt vor?

Fabien Hassan

Literatur

  • Christian Chavagneux, Kleine Geschichte der Finanzkrisen, Rotpunktverlag, Zürich, 2013.
  • Richard Dale, The First Crash: Lessons from the South Sea Bubble, Princeton University Press, 2004.
  • Antoin E. Murphy, John Law: Economic Theorist and Policy-maker, Oxford University Press, 1997.
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