Das Maßnahmenpaket zur “Besseren Rechtsetzung”, das die EU-Kommission am 15. Mai 2015 vorstellte, soll eines der Versprechen des Kommissionspräsidenten Juncker einlösen: die Entscheidungsfindung in der Europäischen Union demokratischer zu gestalten.
Das Paket, das auch eine Interinstitutionelle Vereinbarung über bessere Rechtsetzung umfasst, ist eine der Vorzeigeinitiativen der EU-Kommission: Sie will damit ihren politischen Willen demonstrieren, in Zukunft zu gewährleisten, dass alle auf EU-Ebene und im gesamten Politikzyklus beschlossenen Maßnahmen transparenter, rechenschaftspflichtiger und effizienter sind.
Die Wirtschaftslobby begrüßt die Initiative, wohingegen viele Organisationen aus der Zivilgesellschaft eher skeptisch sind. Einen Grund dafür können Sie in unserem Blogartikel zu den Folgenabschätzungen nachlesen.
Ein weiterer Aspekt des Pakets umfasst die Idee, sowohl die Transparenz als auch die Einbindung der verschiedenen Interessengruppen zu erhöhen, indem im Laufe des Gesetzgebungsprozesses mehr Konsultationen stattfinden. Dadurch sollen alle Beteiligten mehr Möglichkeiten zur Meinungsäußerung erhalten. Neben der Anzahl soll auch der Zeitraum, indem man seinen Konsultationsbeitrag einreichen kann, erweitert werden:
- zwölfwöchige Konsultationen bei neuen Gesetzesvorschlägen und Folgenabschätzungen sowie bei qualitativen Evaluierungen existierender Gesetze
- neue achtwöchige Konsultationen nach Annahme eines Vorschlags durch die EU-Kommission (diese Idee wurde in der neu ausgehandelten Interinstitutionellen Vereinbarung (IIV) wieder fallen gelassen),
- vierwöchige Konsultation zu Vorschlägen für Gesetzgebung der Stufe 2 (delegierte Rechtsakte und wichtige Durchführungsakte).
Die EU-Kommission plant außerdem die Einrichtung einer Internetseite für Bürger/innen, die mehr über das EU-Gesetzgebungsverfahren und die Beseitigung administrativer Hindernisse (in Engl. „cutting red tape“) lernen und mit Gesetzgebern in Kontakt treten möchten. Außerdem soll ein automatisches Warnsystem künftig dazu beitragen, dass sich die Beteiligten zu Beginn jedes einzelnen Gesetzgebungsverfahrens einbringen und ihr Fachwissen und ihre Einschätzung mitteilen können.
Grundsätzlich ist der Wille, die Transparenz durch eine verstärkte Einbeziehung der verschiedenen Interessengruppen zu erhöhen, begrüßenswert, insbesondere in politischer Hinsicht, da die öffentliche Wahrnehmung der Legitimität durch mehr Transparenz verbessert werden könnte. So wurde bereits häufig darauf hingewiesen, dass es dem EU-Gesetzgebungsprozess an Legitimität mangele, weil das Engagement der Interessengruppen bislang kaum repräsentativ und ihre Einbeziehung eher symbolischer Art sei (das sog. ‚Demokratiedefizit‘)
Wenn nun also Interessengruppen und Bürger/innen den Prozess als gerechter und transparenter wahrnehmen, da sie ihre Meinungen und Werte einbringen können und den Prozess besser verstehen, dann werden sie auch mehr zum Erfolg beitragen wollen – so die Annahme. Mehr Transparenz könne zu einem stärkeren Gefühl der Kontrolle bei den Bürger/innen führen, da sie die Entscheidungsprozesse besser nachvollziehen können.
Der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission zur Transparenz und Beteiligung der Interessengruppen wird unserer Ansicht nach jedoch keine ausgeglichene Interessenvertretung zwischen Industrie/Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen/Bürgern erreichen.
Das liegt daran, dass eine größere Anzahl von Konsultationen, wie von der EU-Kommission vorgeschlagen, wohl eher den Industrievertretern nützen wird. Inwieweit sich Interessengruppen beteiligen können, ist schließlich auch davon abhängig, wie viele finanzielle und andere Ressourcen ihnen zur Verfügung stehen. Gerade für Nichtregierungsorganisationen ist das ein entscheidender Faktor, da sie mit ihren beschränkten Ressourcen einer Industrielobby mit wesentlich mehr Mittelngegenüber stehen.
Wenn man ‚Einfluss‘ als die Summe aller Mittel definiert, die jedem Beteiligten zum Erreichen seiner Ziele zur Verfügung stehen, dann fällt es einigen Interessengruppen eindeutig leichter als anderen, jene Mittel zu erhöhen, die zum Erreichen des aus ihrer Sicht bestmöglichen Ergebnisses beitragen.
Die Gefahr einer Zunahme von Konsultationen besteht also darin, dass ärmere Interessengruppen (Nichtregierungsorganisationen und Bürger/innen) gegenüber den Industrievertretern im Nachteil sind. Dadurch werden die Konsultationsverfahren auch unausgewogener und die Vorzüge von integrativer Politik, wie sie die EU-Kommission anstrebt, könnten erheblich geschmälert werden.
Wir befürchten, dass die Pläne der EU-Kommission für zusätzliche Konsultationen am Ende die Informationsasymmetrien eher vergrößern als verkleinern würde, da dieVorteile der Industrievertreter in Bezug auf Informationen und Mittel noch erheblicher würden.
Aus diesem Grund müssen die Vorzüge erhöhter Transparenz gegen die Risiken unausgewogener Kräfteverhältnisse bei der politischen Einflussnahme abgewogen werden. Den Interessengruppen mehr Möglichkeiten zur Meinungsäußerung zu bieten, bedeutet nicht zwangsläufig, dass der gesamte Prozess integrativer wird. Es könnte vielmehr dazu führen, dass die Arbeit für zivilgesellschaftliche Gegengewichte wie Nichtregierungsorganisationen, Verbrauchergruppen oder Gewerkschaften noch beschwerlicher wird.