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Die Bedeutung des deutschen “Mittelstands”
Bei Finanzkrisen handelt es sich um Krisen innerhalb des Finanzsektors. Natürlich bekommt auch die Realwirtschaft die Auswirkungen davon zu spüren, jedoch nicht unmittelbar. Inwiefern ein Schock im Finanzsektor sich auf die Wirtschaft auswirken wird, hängt ganz von den „Transmissionsmechanismen“ ab, so nennen dies die Ökonomen. Darunter ist die Kreditklemme einer der wichtigsten Mechanismen. Im Krisenfall werden die Banken ihre Kreditvergabe an Unternehmen einstellen, wodurch diese möglicherweise gewinnbringende Investitionen nicht tätigen können. Dieses Phänomen betrifft in erster Linie kleine und mittlere Unternehmen, die für gewöhnlich nur auf wenig verschiedene Finanzierungsquellen zurückgreifen können.
Die große Stärke der deutschen Wirtschaft ist der sogenannte “Mittelstand”, ein engmaschiges Netz von KMUs, die qualitativ hochwertige Exportgüter produzieren. In Frankreich setzen die Politker aller Parteien viel daran, einen „französischen Mittelstand“ aufzubauen. Wirtschaftsexperten werden regelmäßig darum gebeten, sich in ihren Berichten damit zu befassen, wie es Frankreich gelingen könnte, seine KMU ähnlich wie in Deutschland zu fördern (siehe beispielsweise Kohler D., Weisz J.-D. & FSI, 2012). Auf den ersten Blick scheint der Mittelstand die Finanzkrise recht gut überstanden zu haben. Das lässt vermuten, dass deutsche KMU seit dem Jahre 2008 ununterbrochen Zugang zu Finanzierungsquellen hatten. Und tatsächlich zeigen makroökonomische Studien, dass es keine Anzeichen für eine „Kreditklemme“ gibt (Ziebarth, 2013, see also Friderichs & Körting, 2011).
Leichter Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten trotz Krise
Selbstverständlich wäre es etwas naiv zu glauben, dass es für deutsche Firmen niemals schwierig ist, kreditwürdige Aktivitäten zu finanzieren. Laut einer Umfrage bei 1.139 Firmen im verarbeitenden Gewerbe aus dem Jahre 2011 „berichteten 31 Prozent der Firmen, die sich um ein Darlehen oder eine Kreditlinie bemüht hatten, von Schwierigkeiten bei der Kreditfinanzierung, die auf die Finanzkrise zurückzuführen sind“ (Hainz & Wiegand, 2013). In der folgenden Abbildung sieht man die verschiedenen Hindernisse, denen deutsche Firmen begegneten, wenn sie einen Kredit beantragen wollten. Diese Zahlen beruhen auf den Angaben der Firmeninhaber, daher sollten daraus nicht voreilig Rückschlüsse gezogen werden.
Trotz dieser Schwierigkeiten war der Zugang zu Finanzmitteln während der Krise zu einem Zinssatz auf „historisch niedrigem Niveau“ (Ziebarth, 2013) möglich. Europäische Entscheidungsträger könnten daher eventuell etwas lernen, wenn sie die Finanzierung der EU-Wirtschaft verbessern wollen. Das gilt insbesondere für die Tatsache, dass deutsche KMU sehr gut in die Kreditvermittlungsketten eingebunden sind, und auch daran, dass Deutschland ein besonderes Bankensystem hat, das sich auf drei Säulen stützt, die Privatbanken, die öffentlich-rechtlichen Banken und die Genossenschaftsbanken (siehe vorheriger Artikel). Stellt der allgemeine Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten mithilfe der öffentlich-rechtlichen und genossenschaftlichen Banken einen Wettbewerbsvorteil der deutschen Unternehmen dar?
Finanzierung über die “Hausbank”
Die Finanzierungsmöglichkeiten seit der Krise sind in quantitativen Studien eingehend analysiert worden (Friderichs & Körting, 2011, Deutsche Bundesbank 2012 & 2013). Aus ihnen geht hervor, dass neben der Fremdfinanzierung die Eigenfinanzierung ein wichtiges Element darstellt. Viele mittelgroße Industrieunternehmen in Deutschland stellen qualitativ hochwertige Produkte her, die sie mit einer komfortablen Gewinnspanne verkaufen und so gut Rücklagen bilden können. Zudem begnügen sich Eigentümer von Familienunternehmen mit geringeren Dividenden, da es ihnen wichtig ist, dass das Unternehmen über genügend Mittel für künftige Investitionen verfügt. Deutschland profitiert so von einem Geschäftsumfeld und einer Unternehmenskultur, in der langfristige Investitionen gefördert werden.
Wenn wir uns hier vor allem mit dem Zugang zu Krediten beschäftigen, dann darf eine Beschreibung der typischen Beziehungen zwischen Firmen und Banken in Deutschland nicht fehlen, und hierbei zuallererst das Prinzip der „Hausbank“. Hierbei handelt es sich um die Hauptbank eines Unternehmens, die ihm grundlegende Finanzdienstleistungen wie Einlagen, Zahlungssysteme und Kreditlinien zur Verfügung stellt. Darüber hinausgehende Dienstleistungen wie Vermögensverwaltung, Kapitalmarktgeschäfte, Fusionen und Übernahmen werden oft von anderen Finanzinstituten übernommen. Das Hausbank-System ist in ganz Deutschland weit verbreitet. „Nur 4,8% der Unternehmen habe keine Hausbank.“ (Hainz & Wiegand, 2013).
Der Worteil “Haus” ist wahrlich nicht aus der Luft gegriffen: Ein Hauptcharakteristikum der “Hausbanken” ist eine „langwährende persönliche Unterstützung und große geographische Nähe zwischen Banken und Firmensitz“ (Hainz & Wiegand, 2013). Tatsächlich beträgt die Dauer der Geschäftsbeziehungen mit der Hausbank im Schnitt mehr als 20 Jahre.
Die Mehrzahl der kleinen Unternehmen haben eine örtliche Sparkasse bzw. eine regionale Landesbank oder eine Genossenschaftsbank als Hausbank. Laut Frank Elay, Vorstandsmitglied der Landesbank Saar, „haben 44% der deutschen Unternehmen eine öffentlich-rechtliche Bank als Hausbank gewählt“ (Eloy, 2013). Große Unternehmen, die weniger örtlich eingebunden sind, würden dagegen meist große Geschäftsbanken bevorzugen, da diese besser aufgestellt sind, um einen enormen Kapitalbedarf zu befriedigen, weltweite Dienstleistungen sowie eine breite Palette an komplexen und personalisierten Finanzprodukten anzubieten.
Die Mannigfaltigkeit der Möglichkeiten
Aus der Perspektive der KMU besteht das Risiko, sich auf einen einzigen Finanzpartner zu verlassen, in einer übermäßigen Abhängigkeit und vermindertem Wettbewerb. Deutsche Unternehmen sind sich dessen durchaus bewusst. Daher unterhalten sie für gewöhnlich neben ihrer Hausbank noch Geschäftsbeziehungen zu zwei oder drei anderen Banken. „Unsere Stichproben haben ergeben, dass Unternehmen zwar dazu neigen, ihre Geschäftsbeziehungen mit Banken breit zu fächern, jedoch bewahren sie einige langfristige Hauptgeschäftsbeziehungen zu bestimmten Banken (Hainz & Wiegand, 2013). Diese Strategie ist insofern effizient, als dass sie die Vorteile einer vertrauensbasierten Geschäftsbeziehung mit denen des marktbasierten Wettbewerbs verknüpft.
Große private Geschäftsbanken beschweren sich weiterhin lautstark über den ‚unfairen Wettbewerb‘ der öffentlich-rechtlichen Banken, die angeblich aufgrund einer expliziten Staatsgarantie von günstigeren Refinanzierungsbedingungen profitieren (obwohl auch große Privatbanken von einer impliziten Staatsgarantie profitieren, da sie zu groß sind, als dass man sie pleite gehen lassen könnte – too-big-to-fail!). Die Wahrheit aber ist, dass Sparkassen durchaus zu mehr Wettbewerb beitragen können. Schließlich bieten sie nur spezifische Dienstleistungen in geographisch begrenzten Gebieten an.
Wenn also ein Klient einen Service benötigt, der von der Hausbank nicht angeboten wird, dann wird sich die Hausbank selbst nach den besten Möglichkeiten erkundingen, ob bei den Landesbanken, Privatbanken und bei ausländischen Anbietern oder selbst einen alternativen Finanzierungsplan vorschlagen. Die Hausbank tut dies aus zwei Gründen: Erstens verfolgen beispielsweise Sparkassen nicht in erster Linie das Ziel der Gewinnmaximierung, zweitens haben Hausbanken ein Interesse daran, ihre langfristigen Kundenbeziehungen zu den KMU aufrecht zu erhalten. Hierin liegt einer der großen Unterschiede zu privaten Universalbanken, die lieber hausinterne Angebote bewerben.
Warum enge wirtschaftliche Bindungen auf lokaler Ebene wichtig sind
Ein weiteres Charakteristikum der Hausbanken ist häufig ihre geographische Nähe. Die deutschen Sparkassen arbeiten jeweils in einem bestimmten Gebiet. Daher sind sie schon allein aufgrund ihrer Struktur kaum anfällig für bestimmte prozyklische Kreditvergabeaktivitäten. Unter prozyklisch versteht man jene Aktivitäten, die vorherrschende Trends in der Wirtschaft weiter verstärken. Stellen Sie sich vor, ein Land ist in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. In einer international agierenden Bank werden die Manager die Kreditvergabe in jenem Land zurückfahren, wodurch in dem Land weniger Geldmittel zur Verfügung stehen, und stattdessen vermehrt in andere schnell wachsende Wirtschaftsräume investieren, wodurch die Krise in dem Land nur weiter verstärkt wird.
Sparkassen können nicht so agieren. Sie müssen zwangsläufig andere Wege und Möglichkeiten finden, um die Kreditvergabe in ihrem Gebiet aufrecht zu erhalten. „Banken, die normalerweise langjährige Beziehungen zu ihren Unternehmenskunden unterhalten, sind schon eher bereit, in einer solchen Situation noch einen Kredit zu vergeben.“ (Die Zeit, 2011). Sparkassen und Landesbanken sind außerdem rechtlich dazu verpflichtet, Ziele im öffentlichen Interesse zu verfolgen und Marktversagen zu korrigieren. In Krisenzeiten sind sie um so mehr bereit, die Wirtschaft zu unterstützen.
Gute Banken, schlechte Banken?
Da Sparkassen in die lokale Wirtschaft eingebunden sind, werden sie zweifelslos geschätzt. Aber sie sind auch sehr mächtig. Bevor Horst Köhler Bundespräsident Deutschlands wurde (2004-2010), fungierte er als Präsident des deutschen Sparkassen- und Giroverbands e.V., DGSV (1993-1998). Örtliche Banken wurden für ihre Nähe zu konservativen Parteien (CDU und CSU) harsch kritisiert. Und tatsächlich sind sie, da sie im Besitz von Städten und Gemeinden sind, von Haus aus eng an jene gebunden, die die Macht innehaben. Die deutsche überregionale Wochenzeitung „DIE ZEIT“ hat den DSGV als die ‚schwarze Macht‘ und als die mächtigste Bankenlobby in Europa bezeichnet. Der Bundesverband Öffentlicher Banken, VÖB, wiederum vertritt die Interessen anderer öffentlich-rechtlicher Banken in Deutschland. Er veröffentlicht regelmäßig Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben und beschäftigt acht ständige Mitarbeiter in Brüssel zu Lobbyzwecken (VÖB, 2014).
So beliebt und zugleich einflussreich sie sind, Sparkassen werden immer wieder instrumentalisiert: Bankenlobbyisten in ganz Europa wissen, dass sie neue Regulierungsmaßnahmen besser verhindern können, wenn sie aufzeigen, dass auch die Sparkassen darunter zu leiden hätten, so zum Beispiel bei der Debatte über höhere Eigenkapitalanforderungen. In ihrer gemeinsamen Stellungnahme im Vorfeld der EU-Wahlen behaupten die öffentlich-rechtlichen und genossenschaftlich organisierten Banken sogar, dass „undifferenzierte Regeln kleine und mittlere Institute überproportional stärker belasten und deren wichtige Rolle bei der Finanzierung der klein- und mittelständischen Wirtschaft erschweren.“ Desweiteren führen sie an, dass Deutschland ein einzigartiges Bankensystem habe, dass sich als nützlich erwiesen hat und beschützt werden müsse, aber durch differenzierte Regelungen, nicht durch Deregulierung.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die bankbasierte Finanzierung der deutschen Wirtschaft sich als effizient erwiesen hat. Jedoch spielen die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen hierbei eine große Rolle. Deutsche Unternehmen profitieren von einem strukturellen Vorteil: Sie sind wesentlich weniger auf bankbasierte Finanzierung angewiesen als ihre europäischen Konkurrenten, dank der höheren Rücklagen, die auch mehr Eigenfinanzierung ermöglicht. Zudem haben sie die Möglichkeit, eine typisch deutsches Instrument zu nutzen – den Schuldschein. Hinzu kommt, dass sie gegenwärtig auch davon profitieren, dass Deutschland seit Ausbruch der Finanzkrise von Investoren weltweit als ‚sicherer Hafen‘ betrachtet wird, sodass die Zinssätze in der Regel niedriger liegen als anderswo in der EU.
Kann die EU vom deutschen Modell etwas lernen?
Im Jahre 2013 veröffentlichte die Europäische Kommission ein Grünbuch zur langfristen Finanzierung der europäischen Wirtschaft. Hervorgehoben wurden die KMU, die „traditionell beim Zugang zu Finanzierungen, die es ihnen ermöglichen, zu wachsen, mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben“. Das Grünbuch betonte zudem die Notwendigkeit, Unternehmen unterschiedliche Finanzierungsinstrumente und -prozesse zur Verfügung zu stellen. „Über die Bewältigung der Finanzkrise hinaus bleibt die wichtige Frage, ob Europa im Zusammenhang mit der Finanzierung langfristiger Investitionen einen Weg aus seiner traditionell starken Abhängigkeit von der Vermittlungstätigkeit der Banken hin zu einem stärker diversifizierten System findet, das durch einen deutlich höheren Anteil der direkten Kapitalmarktfinanzierung und ein stärkeres Engagement institutioneller Anleger und anderer Finanzmärkte gekennzeichnet ist.“ (Europäische Kommission, 2013).
Warum hat die EU-Kommission nicht das deutsche Modell hervorgehoben, das auf örtlichen beziehungsbasierten Bankengeschäften und einer vertikalen Intergration von KMU aufbaut? Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Europäische Kommission als eine der europäischen Institutionen die Intergration der Finanzmärkte in der EU anstrebt. Sie kann sich daher nicht mit einer Situation zufriedengeben, in der sich „die KMU inzwischen mit fragmentierten Finanzmärkten in der EU konfrontiert [sehen], da der Zugang zu Finanzierungskonditionen von einem Land zum anderen stark variiert.“ (Europäische Kommission, 2013). Das deutsche System, das auf geographischer Nähe, örtlicher Kultur und staatlichen Eingriffen basiert, wird nicht als förderlich für den Ausbeu des Binnenmarkts angesehen.
Zugleich wirft die Förderung der KMU-Finanzierung auf den Kapitalmärkten Bedenken auf: Den KMU kommt der Zugang zu Aktien- und Anleihemärkten teuer zu stehen. Die Verbriefung von KMU-Krediten ist zu teuer, um ohne öffentliche Förderung wirtschaftlich sinnvoll zu sein, und könnte zudem die Abhängigkeit von externen Ratings stärken. Auch ist nicht klar, ob die Kapitalmärkte der Fragmentierung entgegenwirken werden, da Investoren bei ihrer Investitionsentscheidung das wirtschafliche Umfeld vor Ort sowie die jeweiligen Länderrisiken mit in Betracht ziehen werden, so wie es auch die Banken tun.
In einer Zeit, in der Europa wichtige Entscheidungen über ihr künftiges Finanzierungsmodell trifft, sollte dem deutschen Ansatz daher mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Fabien Hassan
Quellen
- Deutsche Bundesbank (2012). Die langfristige Entwicklung der Unternehmensfinanzierung in Deutschland – Ergebnisse der gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsrechnung, Monatsbericht, Januar 2012, Frankfurt am Main.
- Deutsche Bundesbank (2013). Ertragslage und Finanzierungsverhältnisse deutscher Unternehmen im Jahr 2012, Monatsbericht, Dezember 2013, Frankfurt am Main.
- European Commission (2013). Green Paper. Long-term Financing of the European Economy, Brussels.
- Ziebarth G. (2013). Wie finanzieren sich Unternehmen in Zeiten der Krise? Neue Antworten der Jahresabschlussanalyse. Materialien zum Vortrag anlässlich des Museumsabends der Deutschen Bundesbank, Frankfurt am Main.
- Eloy, F. (2013). Le rôle des banques régionales dans le financement de l’économie allemande, Annales des Mines – Réalités industrielles 3/ 2013, p. 56-60.
- Kohler D., Weisz J.-D. & FSI – Fonds Stratégique d‘Investissement (2012). Pour un nouveau regard sur le Mittelstand, La Documentation française, Paris.
- Die Zeit, (2011). Zersplittert wie sonst nirgendwo by M. Schieritz, 8 September 2011.
- Hainz C. & Wiegand M. (2013). Financing of the German Economy During the Financial Crisis. DICE 11/2013, p. 48-54, Ifo Institute for Economic Research at the University of Munich.
- VÖB – Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands (2014). Aktuelle Positionen zur Banken- und Finanzmarktregulierung, Berlin.
- Friderichs, H., & Körting, T. (2011). Die Rolle der Bankkredite im Finanzierungsspektrum der deutschen Wirtschaft. Wirtschaftsdienst, 91(1), 31-38.
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