Ein Blick nach Deutschland 1 – Wie das Drei-Säulen-Modell des deutschen Bankenmarkts durch die Krise kam | Finance Watch

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Ein Blick nach Deutschland 1 – Wie das Drei-Säulen-Modell des deutschen Bankenmarkts durch die Krise kam

Ein konservatives Bankensystem

Das Bankengeschäft könnte so einfach sein: Einlagen annehmen, Kredite vergeben. Bei dieser Betrachtungsweise müssten die deutschen Banken einen Wettbewerbsvorteil haben, denn sie sitzen auf einem Haufen Erspartes. Seit 2006 haben die deutschen Haushalte ungefähr 25% ihres Einkommens auf die hohe Kante gelegt. Das ist im Vergleich zu anderen großen Industrieländern viel: Im Jahr 2012 haben die Franzosen, Italiener und Spanier in etwa 18% gespart. In Großbritannien sind es gerade einmal 10,8% (Quelle: OECD, 2013).

Rein theoretisch könnte man annehmen, dass die hohe Sparquote auch zu einer höheren Finanzstabilität beiträgt. Allerdings ist das Bankengeschäft heute weitaus komplizierter. In den 1960er Jahren beriefen sich US-Banker noch auf die alte Weisheit, dass für ihr Geschäftsfeld die 3-6-3-Regel gelte. Banker zahlen 3% Zinsen auf Einlagen, verleihen selbst wiederum Geld zu einem Zinssatz von 6% und spielen dann ab 3 Uhr nachmittags Golf. So gesehen könnte man sagen, dass die 3-6-3-Regel das konservative Bankengeschäft beschreibt. Es herrscht kaum Wettbewerb, man ist riskikoscheu, verdient nicht viel Geld und könnte sich beinahe langweilen. In den USA wurde viel über den soziologischen Abgesang auf das altmodische konservative Bankengeschäft geschrieben, was den risikofreudigen Händlern und Mathegenies in die Karten spielte. Im Gegensatz dazu gelten die deutschen Banken weiterhin als eher konservativ, obwohl sie genauso wie die amerikanischen und europäischen Konkurrenten in großem Umfang in die spekulativen Marktaktivitäten eingestiegen sind.

Aber wenn die deutsche Finanzwelt so konservativ ist, warum musste die Regierung dann 9,1% ihres Bruttoinlandsprodukts für Rettungen und Rekapitalisierungen ihrer Banken aufbringen? Im Oktober 2008 hat die deutsche Bundesregierung den Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) eingerichtet, und damit ein Rettungspaket von €480 Milliarden an Garantien und Finanzspritzen geschnürt.

Daraufhin lebte eine alte Kontroverse über die Vorzüge des deutschen Bankensystems und sein Hauptcharaktistikum, das Drei-Säulen-Modell, wieder auf. Noch heute wird heftig diskutiert: Hat es sich als ein robustes System erwiesen, das Deutschland krisenresistenter machte? Oder ist es gescheitert, wenn man bedenkt, dass die Regierung sich zu Rettungen von Banken gezwungen sah, die in einem wirtschaftlich starken Land niemals dermaßen hätten schwächeln dürfen?

Das Drei-Säulen-System

Das deutsche Bankensystem basiert auf drei Säulen, den Privatbanken, den öffentlich-rechtlichen Banken und den Genossenschaftsbanken.

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Privatbanken: Es gibt heute rund 300 Privatbanken in Deutschland; vor der Krise beherrschten 5 Großbanken den privaten Bankensektor: Commerzbank, Dresdner Bank, Deutsche Bank, Deutsche Postbank AG und HypoVereinsbank. Diese Banken arbeiten weltweit, ihr Hauptgeschäft machen sie mit Geschäftskunden und auf den Finanzmärkten. Von allen Vermögenswerten im Bankensektor besaßen die Privatbanken nur 36% im Jahre 2010 (Brämer & ali., 2011).

Während der Krise standen die größeren Privatbanken kurz vor der Pleite, und es kam zu staatlich überwachten Sanierungsmaßnahmen. Die Dresdner Bank und die Deutsche Postbank AG wurden von der Commerzbank bzw. der Deutschen Bank übernommen. So gibt es heute nunmehr 3 Marktführer. Die Commerzbank ist heute zu 17% in staatlicher Hand und kämpft noch immer mit den Folgen der Krise. 2013 konnte sie erstmals seit 2008 wieder einen kleinen Gewinnn verbuchen.

Öffentlich-rechtliche Banken: Der öffentlich-rechtliche Bankensektor ist sowohl geographisch als auch vertikal aufgeteilt: Sparkassen sind in den Händen von Städten und Kommunen, während Landesbanken im Besitz der Länder sind. Dazu kommen noch Förderbanken, die zum Ziel haben, „den Markt dort [zu ergänzen], wo marktwirtschaftliche Ergebnisse als nicht sozialverträglich angesehen werden“ (VÖB, 2013). Im Jahr 2001 hat die Europäische Kommission beschlossen, dem deutschen System von Staatsgarantien für Sparkassen und Landesbanken ein Ende zu setzen (Anstaltslast und Gewährträgerhaftung), die als gesetzeswidrige staatliche Hilfe eingestuft wurden, da sie eine günstigere Refinanzierung ermöglichten. In den Jahren 2001-2002 wurde zwischen den deutschen Behörden, den öffentlich-rechtlichen Banken und der EU-Kommission ein Kompromiss ausgehandelt. Daraufhin musste das deutsche Recht geändert werden und rund 600 öffentlich-rechtliche Banken müssen fortan ohne explizite Staatsgarantie auskommen.

Wie sind die öffentlich-rechtlichen Banken durch die Krise gekommen? Die Krisenresistenz der Sparkassen war beeindruckend. Natürlich haben auch sie im Jahr 2008 Geld verloren. Aber bereits Anfang 2009 konnten sie ähnliche Gewinne verbuchen wie 2007; zur gleichen Zeit schrieben die Privatbanken weiterhin rote Zahlen. Es muss allerdings hinzugefügt werden, dass die Banken des öffentlich-rechtlichen Sektors niemals hohe Gewinne verbucht haben, was sich ganz einfach damit erklären lässt, dass für sie Gewinnmaximierung nicht oberste Priorität hat.

Ganz im Gegensatz zu den kommunalen Banken haben die Landesbanken enorme Verluste angehäuft, woraufhin der Staat eingreifen musste und eine komplette Umstrukturierung nötig wurde. So musste beispielsweise die Landesbank Baden-Württemberg die Sachsen LB übernehmen, die durch eine irische Tochtergesellschaft tief in die Krise auf dem US-Immobilienmarkt verwickelt war. Wie und warum es dazu kommen konnte, dass öffentlich-rechtliche Banken in solchem Ausmaß mit hochriskanten Finanzprodukten spekulierten, ist ein kontrovers diskutiertes Thema in Deutschland. Die meisten Landesbanken hatten keine stabilen Refinanzierungsquellen jenseits der Einlagen (wholesale funding = Refinanzierung über andere Finanzinstitute und Finanzmarktinstrumente) und waren extrem abhängig von kurzfristiger Mittelbeschaffung. Sowohl Verbraucher als auch viele kleine Unternehmen reagierten entsetzt auf das Gebaren ihrer Banken vor Ort. Denn diese hatte stets auf einen Vertrauensvorschuss gebaut und sich vom Geschäftsgebaren der großen Privatbanken wie der Deutschen Bank distanziert. Eine mögliche Erklärung bietet ein Schlupfloch, das in die Übergangsregelungen Eingang gefunden hat und von der EU-Kommission im Jahr 2001 eingeführt wurde. „Verbindlichkeiten, die zwischen dem 19. Juli 2001 und dem 18. Juli 2005 entstanden sind, fallen weiter unter die Gewährträgerhaftung, sofern der Fälligkeitstermin nicht über den 31. Dezember 2015 hinausgeht.“ Das führte dazu, dass sich einige Landesbanken dank der staatlichen Garantie zwischen 2001 und 2005 – mit einem enormen Anstieg nach 2003 – so viel Geld wie möglich liehen, um damit zu spekulieren. Sie dachten, sie könnten damit den fließenden Übergang erleichtern.

Unter Wissenschaftlern und Politikern wird heute über die Zukunft der Landesbanken diskutiert. Waren die internen Managementstrukturen einfach zu durchlässig und haben eine extreme Risikonahme gefördert? So oder so haben die öffentlich-rechtlichen Banken weiterhin eine zentrale Rolle inne: Ende 2012 liegt ihr Marktanteil weiterhin bei 36%.

Genossenschaftsbanken: Sie sind zahlenmäßig am stärksten vertreten: 1.162 im Jahr 2010 (Brämer & ali., 2011). Eigentümer sind ihre Kunden, es gilt das Genossenschaftsprinzip: eine Person, eine Stimme. An oberster Stelle stehen die Interessen ihrer Mitglieder, für gewöhnlich Bauern und Kleinunternehmer. Das hält sie jedoch nicht davon ab, Gewinne erwirtschaften zu wollen, indem sie beispielsweise Einlagen annehmen und Kredite an ihre Mitglieder oder an andere Personen (rund die Hälfte ihrer Kunden) vergeben.

Bekanntermaßen waren die Genossenschaftsbanken nicht direkt von der Finanzkrise 2008 betroffen. In Anbetracht der wirtschaftlichen Turbulenzen ist es bemerkenswert, wie gut die Genossenschaftsbanken durch die Krise kamen. Selbst im Jahr 2008, dem schlimmsten Jahr der Krise, haben sie einen kleinen Gewinn erzielen können. Im Jahr 2012 lag der Nettogewinn bei 6,9 Milliarden Euro. Die Probleme der Großbanken sowie die moralische Verurteilung durch deren Kunden kam den Genossenschaftsbanken zugute.

Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden sind nun damit beschäftigt abzuschätzen, welchen Einfluss die neuen Bankenregeln auf die Genossenschaftsbanken haben und inwieweit die Eigenarten ihrer Eigentümerstruktur berücksichtigt werden.

Eine alte Tradition der Selbstregulierung

In Deutschland gibt es mehr Banken als in jedem anderen EU-Staat. In den 1990er Jahren betrachtete man diese Zerplitterung noch als Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung. Überall in Europa hat die Zahl der Banken stetig abgenommen. In Deutschland wurde diese Entwicklung jedoch extrem stark spürbar. Während es 1990 noch 4.582 gab, sank die Zahl 2011 auf 1.898. Trotz dieses Rückgangs sind auch 2011 noch 24% aller Banken in der EU deutsch. Im Schnitt sind sie eher klein und halten 18% der Vermögenswerte aller EU-Banken (EBF, 2013). Einem Bericht des Internationalen Währungsfonds zufolge sei diese hohe Zahl an Banken „etwas irreführend, da die öffentlich-rechtlichen Banken und die Genossenschaftsbanken innerhalb ihrer jeweiligen Säulen eng miteinander verwoben sind, und zwar durch gegenseitige Garantien, durch das “Regionalprinzip“, durch die gemeinsame Durchführung einiger Geschäfte sowie durch die Existenz von Apex-Institutionen, wie es die Landesbanken für die Sparkassen sind.“

Durch die Zahl der Banken sowie die dezentrale föderale politische Struktur Deutschlands lässt sich auch die fest verankerte Tradition der Selbstregulierung erklären. Die Bankangestellten richten ihr Verhalten nicht nur nach den gesetzlichen Vorschriften, sondern auch nach sektoriellen Übereinkünften. So sind Genossenschaftsbanken beispielsweise nicht mehr gesetzlich daran gebunden, sich auf ein geographisches Gebiet zu beschränken, was sie davon abhalten würde, Einlagen außerhalb eines bestimmten Gebietes anzunehmen und dort Kredite zu vergeben. In der Praxis jedoch halten sie sich immer noch an diese Regel.

Ein weiteres wichtiges Beispiel ist das Einlagensicherungssystem. Jede der vier Bankenverbände hat ein freiwilliges System eingeführt, das über das europaweite Minimum von 100.000 Euro hinausgeht. Der Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes deutscher Banken e.V. beispielsweise sichert bis zu 30% des haftenden Eigenkapitals für jede Bank ab. Das ist auch einer der Gründe, weshalb sie einige Bausteine der europäischen Bankenunion ablehnen: Deutsche Banken wollen nur ungern Teil eines europäischen Systems werden. Sie sind davon überzeugt, dass ihr eigenes System sich als wirksamer erwiesen hat, und da ihr eigenes System nicht nur auf gesetzlichen Vorschriften beruht, könne es nicht so einfach übertragen werden, viele Anpassungen wären nötig. Zudem hat die Konkurrenz durch den öffentlich-rechtlichen Sektor die deutschen Banken strukturell gesehen weniger profitabel werden lassen als die Durchschnittsbank in Europa, was strengeren gesetzlichen Vorschriften weniger Spielraum lässt.

Die Vorliebe der Deutschen für ihr Bankensystem

Das Drei-Säulen-Modell hat die Finanzkrise überstanden. Jetzt muss es sich einer neuen Herausforderung stellen: die Anpassung an die neuen Regulierungsvorschriften, die Stück für Stück eingeführt werden, um den Finanzsektor insgesamt wieder sicherer zu machen. Die Banken sind unterschiedlich gut durch die Krise gekommen. Aber die Probleme waren letztlich die gleichen wie überall sonst auf der Welt: zu viel Risiko und zu viel Spekulation, die enorme Ausmaße angenommen hatte.

Wenngleich einige der großen Landesbanken in Skandale verwickelt waren, halten die Deutschen an ihrem Drei-Säulen-Modell weiter fest. In der Tat haben sich auch nicht alle Landesbanken wie die Sachsen LB aufgeführt. Viel wichtiger: Kleine und mittelständige Unternehmen, die oft als Schlüssel zum Erfolg des deutschen Wirtschaftsmodells angeführt werden, sind weiterhin größtenteils abhängig von der Finanzierung durch die genossenschaftlichen und öffentlich-rechtlichen Banken (siehe nächster Artikel). Um die deutsche Haltung in Debatten wie die zur Bankenunion zu verstehen, und auch, warum sich die Landesbanken beispielsweise gegen eine einheitliche Bankenaufsicht und höhere Kaptialvorschriften gewehrt haben, muss man die Eigenheiten des deutschen Bankensystems im Auge behalten, das zu großen Teilen nicht in erster Linie auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist bzw. sein sollte.

Im Allgemeinen erkennen die meisten Beobachter an, dass die Reformen der 1990er Jahre die größten Schwachstellen der öffentlichen Strukturen beseitigt haben: „Deutsche Verbraucher und Unternehmen profitieren von einem System, das eine gute Auswahl und Verfügbarkeit von Finanzdienstleistungen bietet. […] Folglich sind deutsche Vermittler von Finanzdienstleistungen wohlmöglich eher in der Lage, den Wohlfahrtsstaat zu stützen, indem sie eben solche Dienstleistungen anbieten und die Gewinne zwischenzeitlich glätten, als es ein kurzfristig orientierter Finanzmarkt machen würde, der wenig Anreize dafür hat.“ (IMF, 2011).

Was wir vom deutschen Bankensystem lernen können

Was können wir von der Widerstandsfähigkeit und den Schwächen der deutschen Banken während der Krise lernen?

Zunächst einmal, dass Banken, die nicht nur auf Profit aus sind, der Gesellschaft von Nutzen sind. Kleine Unternehmen wie auch Verbraucher profitieren von diesen alternativen Finanzierungsquellen, wie sie von öffentlich-rechtlichen und genossenschaftlich organisierten Banken angeboten werden. Deutsche Politiker und Banker geben zu, dass es Schwächen im System gibt. Das ist der Grund, weshalb auch 25 Jahre voller Reformbemühungen, „der Grad an öffentlicher Einflussnahme auf das System beinahe unverändert ist und auch derzeit noch wesentlich höher liegt als in anderen EU-Staaten“ (IMF, 2011).

Die zweite Lehre, die wir aus dem deutschen Modell ziehen können, ist die Tatsache, dass trotzdem einige Banken unterschiedlicher Natur zu hohe Risiken während der Krise genommen haben. Regulierungsmaßnahmen sollten daher, so weit es eben möglich ist, alle Banken gleich behandeln.

Und zu guter Letzt ist es interessant festzuhalten, dass die europäischen Wettbewerbshüter eine förmliche staatliche Garantie für öffentlich-rechtliche Banken im Jahr 2001 abschaffen ließen, indem sie deutliche Argumente gegen unlauteren Wettbewerb vorbrachten. Die massiven Finanzspritzen von 2008 haben gezeigt, dass eine sogenannte implizite Staatsgarantie weiterhin besteht, und das sie vor allem privaten Geschäftsbanken zu gute kommt. Daraus ergibt sich letztlich ein Paradox, das wenig zufriedenstellend ist: Man mag sich fragen, warum öffentlich-rechtliche Banken heute weniger Unterstützung erhalten als private ‚Too-big-to-fail‘-Banken, die nur ein einziges Ziel verfolgen: maximale Rendite. Unter diesem Aspekt betrachtet würde Deutschland genauso wie alle anderen EU-Mitgliedsstaaten erheblich von einer Strukturreform des EU-Bankensektors profitieren, so wie sie von Finance Watch und anderen gefordert wird.

Fabien Hassan

Literatur

  • Brämer P., Gischer H., Richter T., (2013). Le système bancaire allemand et la crise financière. Regards sur l’économie allemande, Paris. Online unter: http://rea.revues.org/index4285.html. [auf Französisch]
  • International Monetary Fund, (2011). Germany: Technical Note on Banking Sector Structure (auf Englisch)
  • Labye A., Lagoutte C., Renversez F., (2002). Banques mutualistes et systèmes financiers: une analyse comparative Allemagne, Grande-Bretagne, France. Revue d’économie financière, 67(3), 85-109, Paris. [auf Französisch]
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