In die richtige Zukunft investieren
Seit 2012 stellen Umweltschützer eine neue Forderung an die Investoren weltweit: Sie sollen sämtliche Gelder aus Erdöl-, Kohle- und Erdgasindustrien abziehen. Den größten Unternehmen dieser Branche wird vorgeworfen, als Emittenten von Treibhausgas wesentlich zum Klimawandel beizutragen. Die Desinvestierungsbewegung, die von 350.org angestoßen wurde, will den Investoren das Versprechen abringen, ihr Geld nicht mehr in Unternehmen anzulegen, die fossile Brennstoffe fördern, und auch all ihre Anteile zu verkaufen: „Wir fordern, dass Entscheidungsträger*innen öffentlicher Institutionen mit sofortiger Wirkung sämtliche neue Investitionen in fossile Brennstoffe stoppen und sich darüber hinaus von ihren bestehenden Kapitalanlagen fossiler Brennstoffe trennen.” (http://gofossilfree.org/de/was-ist-divestment/)
Falls Sie nie zuvor von „Divestment“, wie man es auch manchmal im Deutschen nennt, gehört haben, dann mag ihnen dieser Versuch, die Zivilgesellschaft gegen den Klimawandel zu mobilisieren, vielleicht wunderlich erscheinen. Das Thema ist nicht gerade leicht zu verstehen und nur wenige Menschen sind sich überhaupt dessen bewusst, welche Art von Investitionen mit ihrem Geld oder dem Geld ihrer Universität, Gemeinde oder Versicherung getätigt werden.
Da sich verschiedene Gruppen von Aktivisten für Desinvestitionskampagnen zusammengeschlossen und eine gute Öffentlichkeitsarbeit gemacht haben, konnten beachtliche Erfolge erzielt werden. In den Vereinigten Staaten, wo die Bewegung ihren Anfang nahm, machten altehrwürdige Universitäten wie Stanford schon frühzeitig als Unterzeichner mit. Viele andere verantwortungsbewusste Investoren wie Stiftungen, öffentliche Träger oder die Kirche schlossen sich an (siehe Diagramm oben).
Zwei Beispiele zeugen vom Erfolg der Bewegung: Im Jahr 2014 erhielt sie Unterstützung durch den Rockefeller Brothers Fonds. Das hatte großen symbolischen Charakter, schließlich spielte die Rockefeller-Familie eine wesentliche Rolle bei der Gründung von Exxon, dem größten Ölunternehmen der Welt. Der Vorsitzende des Fonds zog eine wunderschöne Parallele: „John D. Rockefeller, Gründer von Standard Oil, hat Amerika weg vom Walöl hin zum Petroleum geführt. Wir sind uns sicher, dass er, der schlaue Geschäftsmann, sich heute, wenn er noch am Leben wäre, von fossilen Brennstoffen abwenden und in saubere, erneuerbare Energie investieren würde.“
Im Jahr 2015 entschied das norwegische Parlament, sich von allen Kohleinvestitionen in seinem staatlichen Pensionsfonds zu trennen – ein Pensionsfonds, der mit 900 Milliarden US-Dollar der weltweit größte ist. Über hundert Unternehmen sind von diesem Schritt betroffen. Und wieder ist er symbolisch, denn die Gelder in diesem Fonds gehen in großen Teilen auf Gewinne aus Ölexporten zurück. Selbst diejenigen, die ein Vermögen mit fossilen Brennstoffen gemacht haben, glauben anscheinend, dass die Zukunft woanders liegt.
Doch solche Erfolge provozieren oft Gegenreaktionen, wovon die teils extrem negativen Kommentare und Artikel zeugen. Darin wird behauptet, dass Desinvestitionen entweder irrelevant oder gefährlich sind, wenn nicht sogar beides auf einmal. In der Tat wirft die Bewegung eine Reihe Fragen auf: Was sollten Investoren mit dem freigewordenen Geld machen? Werden hier moralische mit finanziellen Werten verwechselt? Und, so fragen sich vor allem die Investoren, birgt das Risiken und gefährdet etwa die Rendite ihrer Fonds?
Engagieren oder Desinvestieren
Laut einer Studie von MSCI haben jene Investoren, die ihre Anteile an Unternehmen der fossilen Brennstoffindustrie verkauften, in den letzten fünf Jahren ein bisschen bessere Gewinne gemacht, als die, die es nicht taten. Nichtsdestotrotz scheinen die stärksten Argumente gegen Desinvestition weniger mit Rendite zu tun zu haben.
Ein viel größeres Hemmnis scheint die Frage nach den tatsächlichen Auswirkungen von Desinvestitionen zu sein. Hat der Verkauf von Aktien irgendeinen Einfluss auf das Verhalten der Unternehmen? Wenn eine Vielzahl von Investoren ihre Anteile verkaufen wollen, dann würden theoretisch auch die Nachfrage nach den Wertpapieren und deren Preise sinken. Gesunkene Aktienpreise könnten die Kapitalkosten der betroffenen Unternehmen erhöhen, die folglich selbst weniger Investitionen tätigen können.
In der Praxis jedoch ist die Nachfrage nach liquiden Vermögenswerten wie den Aktien großer Ölunternehmen zu groß, als dass man irgendwelche Auswirkungen der Desinvestitionen messen könnte. In einem wichtigen Bericht zum englischen Aktienmarkt („Kay Review of equity markets“) heißt es, dass solche Verkäufe aufgrund der Struktur der heutigen Finanzmärkte für die Unternehmen harmlos sind: „Der unglückliche Gesellschafter wird, sobald er aussteigt, sofort durch jemand anderen ersetzt wird. Diese Auswechslung bedeutet zwar nicht, dass der Ausstieg überhaupt keine Auswirkungen hätte, allerdings bleiben sie sehr gering.“ (Kay Review, 2012). Investoren, die ihr Geld abziehen, werden durch solche ersetzt, die sich des Klimawandels weniger bewusst sind und die weniger Fragen stellen. So kann das Unternehmen weitermachen wie zuvor.
Aber was ist dann die Alternative? Viele Institutionen, die bei der Desinvestierung nicht mitmachen wollen, wie beispielsweise die Harvard University, setzen vielmehr auf den Dialog mit den fraglichen Unternehmen. Solange sie ihre Anteile behalten, haben die Investoren weiterhin ein Wahlrecht und können so ihren Einfluss auf die Unternehmen geltend machen. Sie können Fragen stellen, Vorschläge zur Beschlussfassung für die Hauptversammlung einreichen und sogar Vorstandsmitglieder abwählen, wenn diese es ablehnen, über den Beitrag der Firma zum Klimawandel Rechenschaft abzulegen.
Zwar gibt es immer mehr Vorstöße in diese Richtung, aber insgesamt handelt es sich noch um Einzelfälle. Denn ein solches Engagement bedeutet für einen Investor, dass er sich eingehend mit den Anlagestrategien des Unternehmens befassen, alternative Strategien vorschlagen und mit anderen Aktionären Koalitionen eingehen muss. Solche Aktivitäten können sehr kostenintensiv sein. Für einen Aktionär, der die Ausrichtung eines Unternehmens infrage stellt, ist es einfacher, seine Aktien zu verkaufen: „So wie die heutigen Aktienmärkte strukturiert und reguliert sind, fördern sie eher den Ausstieg (exit) als die Stimme (voice), was wiederum dazu führt, dass die Aktionäre sich kaum engagieren und qualitativ wenig beitragen.“ (Kay Review, 2012).
Laut Carbon Tracker, einer britischen Nichtregierungsorganisation, die einen wichtigen Beitrag dazu geleistet hat, dass sich institutionelle Investoren über die finanziellen Auswirkungen der Klimawandelpolitik Gedanken machen, sind Desinvestieren und Engagieren zwei komplementäre Ansätze. Stimmrecht und Ausstieg seien keine Alternativen; beide müssten in einem „sich einander gegenseitig verstärkenden Prozess“ mitwirken, um zu einem „klimastabilen globalen Energiesystem“ zu gelangen. (Harvard Business Review, 2014).
Der südafrikanische Präzedenzfall
Die Befürworter der Desinvestierung sind sich dessen bewusst, dass die finanziellen Auswirkungen ihrer Aktionen eher beschränkt sind. Sie sind jedoch auch davon überzeugt, dass die Bewegung dabei hilft, die Zivilgesellschaft zu mobilisieren. Indem sie Druck auf Universitäten oder andere ausüben, aus bestimmten Unternehmen auszusteigen, liefern sie Nahrung für die Debatte zum Klimawandel und stellen unsere Gewohnheiten und Lebensweise in Frage. „Divestment wirkt nicht vorrangig als wirtschaftliche Strategie, sondern vor allem auf der ethischen und politischen Ebene.“ (http://gofossilfree.org/de/haufig-gestellte-fragen/).
Die Divestmentkampagne gegen die fossile Brennstoffindustrie ist vergleichbar mit vielen anderen Boykott-Aufrufen. Die Mitstreiter der GoFossilFree-Bewegung verweisen zum Beispiel oft auf die Divestmentkampagne gegen das Apartheidsregime in den 1980er Jahren. Ihrer Ansicht nach „trug [sie] wesentlich dazu bei, dem Apartheidregime das Rückgrat zu brechen und eine Ära der Demokratie und Gleichberechtigung einzuläuten.“ (http://gofossilfree.org/de/haufig-gestellte-fragen/).
Aber ist das südafrikanische Regime wirklich durch Desinvestierung gestürzt worden? Einige Forscher haben den Einfluss der Bewegung untersucht, und tatsächlich einen Effekt festgestellt, aber dabei nicht zwischen Desinvestierung und dem schlichten Rückzug der US-Firmen vom südafrikanischen Markt unterschieden (Posnikoff, 1997). Wenn dieser Rückzug nicht stattgefunden hätte, dann liegen die Dinge recht klar: Bei einer Podiumsdiskussion in Harvard im Jahr 2014 folgerte man, dass die „Beweislage recht eindeutig dafür spricht, dass Desinvestierung durch den Verkauf von Aktien kaum oder gar keinen wirtschaftlichen Druck auf Unternehmen ausübt, ihr Verhalten zu ändern.“
Diese Begründung ist identisch mit der Argumentation im Kay Review (siehe oben): „Selbst eine extrem erfolgreiche Divestmentkampagne würde nur einen Bruchteil der Anteilseigner eines Unternehmens betreffen, deren abgestoßene Aktien sehr wahrscheinlich viele Abnehmer, ob andere Unternehmen oder Individuen, finden würden.“ Es wird stets nur eine Minderheit an Investoren geben, die desinvestieren, dafür jedoch viele Käufer der Papiere. Als finanzielle Waffe hat die Desinvestierung wenig direkte Wirkung, wenn überhaupt. Im Rahmen einer Kampagne, die eher auf die Nebenwirkungen abzielt, ist Desinvestment dagegen stärker. So wurde beispielsweise eine Bewegung ins Leben gerufen, um verschiedenen Akteuren offizielle Versprechen abzuringen. Beim sogenannten „Paris Pledge“, der von über 100 Organisationen unterstützt wird, werden Banken dazu aufgerufen, die Kohleindustrie nicht weiter finanziell zu unterstützen, während gleichzeitig die schlimmsten „Kohlebanken“ öffentlich an den Pranger gestellt werden.
Auf diesem Weg kann die Desinvestierungsbewegung unterstützt werden, unter anderem dadurch, dass mehr Investoren ihre Anteile an Kohle-, Öl- und Erdgasunternehmen verkaufen. Selbst konservative Risikomanager könnten in Versuchung geraten: Das Beispiel des Apartheidsregimes lehrt uns nämlich auch, dass auf der Ebene des Portfolios ein Divestment nicht unbedingt ein höheres Risiko bedeutet (Rudd, 1979).
Eine hervorzuhebende wissenschaftliche Veröffentlichung widmet sich den Kosten der Desinvestierung für Investoren (Grossman & Sharpe, 1986). Je nach Desinvestitionsstrategie können die Transaktionskosten eines Desinvestments rund 0,41% des Gesamtportfoliowerts betragen, was zwar gering, allerdings nicht unerheblich ist.
Aktives und passives Management
Um sich ein klares Bild von diesen Transaktionskosten zu machen, sei daran erinnert, dass die meisten Fonds passiv gemanagt werden. Im Gegensatz zu aktiven Investoren, die ihre Aktien selbst auswählen, bilden passive Investmentfonds einfach nur Börsenindizes nach. In diesem Falle stellt sich die Frage nach Desinvestierung überhaupt nicht: Das Grundprinzip von passiv gemanagten Investmentfonds lautet, „Tracking Errors“ (Abweichung zwischen Wertenwicklung des Fonds und des Indexes, der nachgebildet werden soll) so gering wie möglich zu halten. Die zugrundeliegende Anlagestrategie besagt, dass der Aufkauf aller (verfügbaren) Aktien gleichbedeutend ist mit dem Kauf eines Anteils an der Gesamtwirtschaft. Somit ersparen sich Investoren die detaillierte Analyse einzelner Aktien: Wenn ein einzelnes Unternehmen schlechte Zahlen macht, dann wird das automatisch kompensiert durch die Gewinne seiner Konkurrenten.
Passive Investmentstrategien haben jedoch eine Verlagerung von Kompetenzen zur Folge: Passiv gemanagte Fonds brauchen keine Aktienanalysten oder Wirtschaftsprognosen. Tatsächlich benötigen sie kaum Ressourcen und sparen so Verwaltungsgelder.
Passive Investoren sind auf einen kompetenten Vermögensverwalter angewiesen, der den Index so gut wie möglich nachbildet und der dafür wiederum einen verlässlichen Indexanbieter braucht. Letztlich beruht der tatsächliche Mehrwert und die Intelligenz passiver Investmentstrategien auf Zahlenexperten, die in der Lage sind, mathematische Präferenzmodelle zu entwickeln, die einen neuen Index berechnen, die Handelsstrategien verfolgen, um diesen möglichst exakt nachzubilden, die Verwaltungsgebühren so niedrig wie möglich halten und die zudem Lösungen zur Absicherung anbieten.
In anderen Worten befinden wir uns in einer Welt, in der Menschen, die statistische Korrelationen berechnen und Preise für Produkte festsetzen, nützlicher sind als solche, die sich mit den wirtschaftlichen Aktivitäten einzelner Aktienunternehmen beschäftigen. Es bedarf nicht einmal hoher Mathematik, um zu zeigen, dass man mit mehreren tausend liquiden Titeln weltweit eine unendliche Zahl an Indizes schaffen kann.
Eine Alternative zu Desinvestitionsstrategien besteht daher im Kauf eines sogenannten „Low Carbon“- oder „Fossil Free“-Indexes, bei denen der Indexanbieter bestimmte Unternehmen, die für eine große Menge an CO2-Emissionen verantwortlich sind, nach seinen eigenen, oft komplizierten Regelsätzen ausschließt.
Neue Brücken zwischen Finanzwelt und Realwirtschaft
Der wahrscheinlich interessanteste Ansatz der Desinvestierungsbewegung besteht darin, dass sie Investoren dazu bringt, sich über die Auswirkungen ihrer Investitionsentscheidungen auf die Realwirtschaft Gedanken zu machen. Zugleich ist genau dieser Punkt ziemlich entmutigend: In einer Welt der freien Kapitalflüsse, deregulierter Finanzmärkte und expansiver Geldpolitik ist es kaum möglich, die Auswirkungen solcher Investitionsentscheidungen zu erfassen, selbst wenn sie gemeinsam von einer großen Koalition institutioneller Investoren getroffen werden.
Es bleibt die Hoffnung, dass das wachsende Bewusstsein für die finanziellen Auswirkungen des Klimawandels auch die Finanzindustrie dazu bewegt, über ihren kurzfristigen Horizont hinauszuschauen und ihren Einfluss auf die Realwirtschaft noch einmal grundsätzlich zu überdenken. Bereits im Jahr 1967 schrieb Adolf A. Berle: „Abgesehen von der Verfolgung eigener Interessen trägt [ein Aktionär] einzig dazu bei, dass die Liquidität für andere Aktionäre erhalten bleibt, die ihre Bestände in Bargeld umwandeln wollen. Weder kann noch beabsichtigt er, strategische oder unternehmerische Aufgaben oder Rollen zu übernehmen.” Die Desinvestierungsbewegung bietet eine Chance für Investoren, ihm das Gegenteil zu beweisen. Es würde langsam Zeit.
Fabien Hassan
Literatur
- Grossman, B. R., & Sharpe, W. F. (1986). Financial implications of South African divestment. Financial Analysts Journal, 42(4), 15-29.
- Kay, J. (2012). The Kay review of UK equity markets and long-term decision making. Final Report, 112.
- Meznar, M. B., Nigh, D., & Kwok, C. C. (1994). Effect of announcements of withdrawal from South Africa on stockholder wealth. Academy of Management Journal, 37(6), 1633-1648.
- Posnikoff, J. F. (1997). Disinvestment from South Africa: They did well by doing good. Contemporary Economic Policy, 15(1), 76.
- Rudd, A. (1979). Divestment of South African Equities: How Risky?. The Journal of Portfolio Management, 5(3), 5-10.