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Klimakrise und Finanzregulierung: Quo vadis? Wirtschaft, Politik und Aufsicht in der Diskussion

Climate risk
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Auf der Finance Watch Webkonferenz “Klimakrise und Finanzsektor” am 15 September 2022 hoben die Redner aus Politik, Aufsicht und Wirtschaft hervor, dass eine adäquate Regulierung des Finanzsektors bei der Bekämpfung der durch den Klimawandel bedingten Risiken wichtig und dringend ist. Vertreter aus Aufsicht und Politik stellten Offenlegung, Geschäftssteuerung, Risikomanagement und Stresstest-Übungen in den Vordergrund. Finance Watch plädierte für strengere Säule 1-Kapitalanforderungen.

Die Initiativen für ein nachhaltiges Finanzwesen sind in den letzten Jahren auf verschiedenen Ebenen stark vorangetrieben worden. In die aktuelle Überarbeitung der Eigenkapitalverordnung und -richtlinie (CRR/CRD) sowie der Solvabilitätsverordnung (Solvency II) sollen Maßnahmen mit einfließen, um klimabedingte Risiken zu adressieren und den Finanzsektor als nachhaltigen und gegen Klimarisiken resilienten Akteur aufzustellen. Die Abstimmungen hierzu im EU-Rat und EU-Parlament laufen derzeit, und die Trilog-Verhandlungen werden Anfang 2023 erwartet. Anlass und Motivation genug, Standpunkte und Argumente zu diskutieren, welche konkreten Maßnahmen essentiell und zielführend sind. Auf den beiden Panels war man sich über die Ziele, Klimarisiken adäquat zu adressieren und einen resilienten Finanzsektor zu schaffen, einig. Über die Priorisierung der Maßnahmen, den Fokus und die Abfolge gab es unterschiedliche Auffassungen.

José Manuel Campa, Vorsitzender der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA), schlüsselte entsprechende Maßnahmen ausgehend von Säule 3, also Offenlegung und Markttransparenz, auf. Weiter priorisierte er Säule 2 mit Risikomanagement, Aufsichtsprozess (SREP) und Stresstests bzw. Szenarioanalysen als Fokus aufsichtlicher Maßnahmen in Bezug auf Klimarisiken. Die Angemessenheit der Säule 1-Anforderungen wird zurzeit untersucht – konkrete Schlussfolgerungen werden in dem für Juni 2023 geplanten Bericht erwartet. Ein Analyse- und Bewertungsprozess wird gerade von der EBA durchgeführt. Campa schloss damit, dass es darum gehe, die besten Lösungen im Regulierungsrahmen für diese Risiken zu finden.

Die Vertreter von Finanzministerium, Deutscher Bundesbank und Versicherungsverband (GDV) betonten in ihren Statements die Risikoorientierung als wesentlichen aufsichtlichen Ansatz. Die Unzulänglichkeiten vor allem im Hinblick auf die Verfügbarkeit valider Daten und Informationen zu klimabedingten finanziellen Risiken wurden zwar allseits gesehen. Jedoch stellte man die Risikoorientierung und einen evidenzbasierte Herangehensweise als derzeit probates Mittel dar. Die Modellierung, Methodik und Datensammlung müssen allerdings weiterentwickelt werden. Alle Redner, inklusive der EBA und der Europäischen Kommission, wiesen hier auf konzeptionelle Probleme, Datenlücken und methodische Grenzen bei der Einbeziehung langfristiger Auswirkungen von Klimarisiken hin. Daher seien – als Ergänzung für das individuelle Risikomanagement und im SREP-Prozess – Stresstests und Szenarioanalysen wichtige Instrumente, um die künftigen Risiken bestimmer Pfadverläufe und Entwicklungen besser zu verstehen und abschätzen zu können, sowohl seitens der Finanzunternehmen als auch der Aufsichtsbehörden.

Das ist wichtig und sicherlich zu begrüßen, allerdings nicht ausreichend für einen Umgang mit Risiken, die stark zukunftsgewandt sind und die sich zeitlich nicht-linear und exponentiell manifestieren können. Schaut man sich zudem die Ergebnisse der Stresstests der Europäischen Zentralbank an, stammen zwei Drittel der Einnahmen der bedeutenden Banken in der EU aus Unternehmen emissionsintensiver Sektoren. Und 60 Prozent der Banken haben noch keinen Rahmen für Klimastresstests, beziehen also Klimarisiken noch nicht in ihre Kreditrisikomodelle und das Kreditvotum ein. Ähnliches hat die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) in den Own Risk and Solvency Assessment (ORSA) Berichten festgestellt: Klimarisiken finden im Risikomanagement von Versicherern noch keine adäquate Berücksichtigung. Es braucht deshalb dringend geeignete Maßnahmen und eine Erweiterung des Regulierungsrahmens um klimabedingte finanzielle Risiken adäquat zu adressieren und Strategien anzupassen. Solche Maßnahmen würden nachhaltigen Finanzierungen und Investments zugutekommen, welche zurzeit effektiv im Nachteil sind. Nur so kann der Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft ohne unkalkulierbare, radikale Brüche gelingen. Eine Anpassung der Eigenkapitalanforderungen und Maßnahmen wie bindende Übergangspläne in der Säule 2 sind hierfür wirksame Instrumente, die im Rahmen der Überarbeitung von CRD/CRR sowie Solvency II einfach umsetzbar wären.

Die Vertreter aus Politik, Aufsicht und Verbänden verwiesen in Bezug auf Änderungen der Säule 1 auf die angekündigten Berichte der EBA und der EIOPA für 2023 zu Säule 1, die zunächst abzuwarten seien. Die entsprechenden Mandate sind in den finalen Texten der CRR/CRD und Solvency II zu erwarten. Demnach sollen die Aufsichtsbehörden Evidenz für die möglichen Anpassungen der Kapitalanforderungen liefern. Auf die künftig veröffentlichten finalen Berichte soll dann eine Überprüfung folgen. Zwar waren sich die Panelisten einig, dass die Netto-Null Szenarien eine signifikante Reduzierung des Verbrauchs von Kohle, Öl und Gas vorsehen und die bevorstehenden Entwicklungen nicht in den vergangenen Daten zu finden sind. Sie sprachen sich jedoch trotzdem für mehr Belege aus, wenn es darum gehe, das Risikogehalt der Kreditforderungen gegen fossile Anlagen höher anzusetzen.

Zu der abwartenden Haltung der Redner gegenüber erhöhten Säule 1-Anforderungen und dem Fokus auf Säule 2-Maßnahmen wies Julia Symon von Finance Watch auf zweierlei Probleme hin: den Zeithorizont von Klimarisiken und die sehr begrenzte Aussagekraft historischer Daten. Man verlasse sich zu sehr auf Stresstests und Modellierungen, obwohl diese Übungen erhebliche Limitierungen aufwiesen. Die Funktion von Eigenkapital sei es, extreme und unerwartete Risiken aufzufangen, um möglichen Insolvenzen im Finanzsektor und damit einer möglichen Finanzkrise entgegenzuwirken. Symons Kollege Christian Stiefmüller wies zudem darauf hin, dass der Blick in den Rückspiegel nicht dabei helfe, künftige Klimarisiken zu prognostizieren. Hilfreicher seien hingegen existierende Makrodaten, wie das noch zur Verfügung stehende CO2-Budget. Die CO2-Intensität eines Assets gebe zwar keine Auskunft über die kurzfristige Ausfallwahrscheinlichkeit, aber was zähle sei die mittel- bis langfristige Perspektive. Und dafür sei eine erhöhte Kapitalunterlegung im Finanzsektor wichtig. Die Vertreterin der Bundesbank merkte an, dass man in einem unsicheren Kontext voraus schauen müsse, um mit strukturellen Herausforderungen wie dem Zeithorizont und der Datenverfügbarkeit umzugehen und Risiken bewerten zu können. Allerdings klang die Forderung nach Modellen, die dabei helfen unter Unsicherheit entscheiden treffen zu können, nicht gerade nach raschem und beherztem Tatendrang.

Hinsichtlich der kommenden Anforderung von konkreten Übergangsplänen, gab es von Politik und Interessenverbänden Zuspruch für institutsspezifische Pläne mit eigenem Risikomanagement und ohne Sanktionierung. Ohne bindende, kontrollierbare Vorgaben bleibt der Zweck der Übergängspläne, nämlich in die Geschäftsentscheidungen einbezogen zu werden, jedoch zu schwammig . Konsistenz, Vergleichbarkeit, Überprüfung und Durchsetzung sind daher wesentlich um das Ziel einer robusten Wirtschaft während des Transformationsprozesses zu erreichen.

Der Klimawandel ist eine elementare Herausforderung, der – trotz aller wissenschaftlichen Belege – von Politik und Wirtschaft noch nicht entsprechend ernst genommen wird. Das gilt auch für den Finanzsektor, der eine zentrale Rolle im angestrebten Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft spielt. Damit er diese Rolle in einem höchst unsicheren Transformationsprozess erfüllen kann, müssen klimabedingte finanzielle Risiken wirksam adressiert werden, Dies trägt zu einem sicheren Finanzsektor bei, welcher somit seine wichtige Funktion bei der Finanzierung des Wandels zu einer nachhaltigen Wirtschaft erfüllen kann. Wie erreicht man dies? Durch eine Regulierung, die der enormen Tragweite dieser Risiken im Klimawandel Rechnung trägt. Dazu gehört ein Regulierungsrahmen, der mit erhöhten Eigenkapitalanforderungen, bindenden Übergangsplänen, langfristig ausgerichteter Geschäftssteuerung, starkem Risikomanagement und entsprechender Aufsicht rasch Wirkung erzielt. Ein proaktives und progressives Vorgehen von Gesetzgeber und Aufsicht ist ebenso essentiell wie notwendig.

Upgrade der Anforderungen für Banken und Versicherer

Säule 1:  Kapitalanforderungen für klimabedingte finanzielle Risiken in Bezug auf fossile Energieträger.

  • höhere Risikogewichte für Banken;
  • höhere Risikoaufschläge für Versicherer;
  • höhere angenommene Verlustwahrscheinlichkeiten durch klimabedingte Ereignisse für technische Rückstellungen von Versicherern.

Säule 2:  Übergangspläne und spezifische quantifizierbare Zwischenziele für einen Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und der Begrenzung der globalen Erwärmung.

  • robuste Mindeststandards für Übergangspläne und Zwischenziele;
  • Kopplung der variablen Vergütungskomponente von Vorständen an die Erreichung der in den Übergangsplänen definierten Ziele.
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