Der Klimawandel ist eine existenzielle Herausforderung ohne bisher adäquate Antwort. Mögliche finanzielle Risiken für den Finanzsektor resultieren aus klimabedingten Extremwetterereignissen sowie der nachhaltigen Transformation der Wirtschaft, welche zum Wertverlust bestimmter, mit der 1,5 Grad Welt nicht kompatibler Vermögensgegenstände führt. Finanzmärkte antizipieren die unerlässliche Transformation der Wirtschaft sowie die Wahrscheinlichkeit größerer disruptiver Klimaereignisse nur unzureichend. Die bestehenden Rahmenwerke für Banken und Versicherer reflektieren klimabedingte finanzielle Risiken noch nicht. Diese Ungleichgewichte nehmen immer weiter zu und können künftig disruptiv auf Unternehmen, Branchen und das Finanzsystem wirken. Die Verantwortung, eine mögliche klimabedingte Finanzkrise abzuwenden, kommt der Politik zu. Banken und Versicherer müssen jetzt mit einer robusten gesetzlichen Regulierung dazu verpflichtet werden, ihre Geschäftsmodelle und -strategien in Einklang mit den Klimazielen zu bringen.
Grenzen der Messung und Bewertung
Klimabedingte finanzielle Risiken weisen eigene Merkmale auf, welche die gängigen Risikoarten nicht enthalten. Klimaereignisse, vor allem sogenannte “grüne Schwan-Ereignisse”, sind zukunftsbezogen, nicht linear und in ihren tatsächlichen Folgen höchst unbestimmt. Eine präzise Messung und akkurate Bewertung der resultierenden Risiken sind gegenwärtig nicht erreichbar. Die Dimensionen, Tragweiten und Folgen der sich entfaltenden klimabedingten Risiken können mit den bestehenden Methoden des Risikomanagements und den diesbezüglichen Säule 2-Anforderungen der prudentiellen Regulierung nur unzureichend erfasst werden. Daher sind auch bisherige Annahmen über eine optimale Kapitalausstattung und die Neukalibrierung der Eigenmittelanforderungen in den aufsichtlichen Überlegungen angekommen. So hat die Europäische Aufsichtsbehörde im Mai 2022 eine Diskussion angestoßen, ob der derzeitige Regulierungsrahmen für Banken ausreichend ist, um Klimarisiken angemessen zu adressieren. Das Diskussionspapier stellt unter anderem die Frage, ob die Kapitalanforderungen aufgrund potenziell höherer Verluste angepasst werden müssten. Diese Debatte ist essenziell.[1]
Dezidierte Säule 1-Kapitalanforderungen
Die Eigenkapitalanforderungen sind ein wirkungsvolles Instrument, um künftige, aus klimabedingten Risiken resultierende Verluste abzufedern und die Widerstandsfähigkeit von Finanzinstituten zu stärken. Gerade für die risikoreichen Positionen in fossilen Energieträger-Unternehmen ist eine entsprechend ausreichende Unterlegung mit Eigenkapital erforderlich, denn fossile Energiequellen tragen am meisten zum Klimawandel und zu den damit verbundenen Risiken bei. Das “Netto-Null Szenario” der Internationalen Energieagentur (IEA) zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2050 setzt voraus, dass ab 2022 keine neuen fossilen Energiequellen mehr erschlossen und der Verbrauch von fossiler Energie stark reduziert werden. Die damit verbundenen Vermögenswerte würden somit rasch an Wert verlieren. Die Erhöhung der Risikogewichte für die Finanzierungen der Erschließung und Produktion der fossilen Energieträger kann ganz einfach in den Säule 1-Anforderungen der EU-Eigenkapitalverordnung (CRR) sowie der Solvabilitätsverordnung[2] vorgenommen werden.
Bindende Übergangspläne in den Säule 2-Anforderungen
Verpflichtende Übergangspläne zu nachhaltigen Geschäftsstrategien sind eine wichtige Erweiterung der Säule 2-Anforderungen, welche es dem Finanzsektor ermöglichen würde, die nachhaltige Transformation der Wirtschaft zu begleiten und dabei die daraus resultierenden Risiken zu steuern. Banken und Versicherern sollten belastbare Pläne mit klimabezogenen Zielen entwickeln und in ihre Geschäfts- und Risikomanagementprozesse integrieren. Aufsichtsbehörden sollten Korrektheit, Vergleichbarkeit und Belastbarkeit von turnusmäßig berichteten Ergebnissen und Fortschritten zur Realisierung dieser Pläne überprüfen. Für diese Maßnahmen müssen verpflichtende Mindestanforderungen und Standards in den EU-Regulierungsrahmen aufgenommen werden.
Finanzsektor als nachhaltiger Akteur
Ein zielgerichtetes und wirksames Upgrade des EU-Regulierungsrahmens für Banken und Versicherer ist machbar. Angesichts des hohen Tempos, das zur Begrenzung der Erderwärmung nach den Pariser Klimazielen und Abwendung der unumkehrbarer disruptiver Klimaentwicklungen erforderlich ist, sind wirksame und zeitnahe Maßnahmen notwendig. Die aktuelle Überarbeitung der Eigenkapitalverordnung und -richtlinie (CRR/CRD) sowie der Solvabilitätsverordnung (Solvency II) ist die Chance, Entscheidungsträger von diesen Maßnahmen zu überzeugen. Hier gilt es, das Momentum während der Kompromissfindung und Finalisierung der Gesetzestexte zu nutzen, um den Finanzsektor als nachhaltigen Akteur aufzustellen.
Um mehr zur Debatte über Klimarisiken zu erfahren, registrieren Sie sich für unsere Webkonferenz “Klimakrise und Finanzsektor” am 15 September von 9:00 – 12:30. Hier anmelden.
Upgrade der Anforderungen für Banken und Versicherer
Säule 1: Kapitalanforderungen für klimabedingte finanzielle Risiken in Bezug auf fossile Energieträger.
- höhere Risikogewichte für Banken;
- höhere Risikoaufschläge für Versicherer;
- höhere angenommene Verlustwahrscheinlichkeiten durch klimabedingte Ereignisse für technische Rückstellungen von Versicherern.
Säule 2: Übergangspläne und spezifische quantifizierbare Zwischenziele für einen Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und der Begrenzung der globalen Erwärmung.
- robuste Mindeststandards für Übergangspläne und Zwischenziele;
- Kopplung der variablen Vergütungskomponente von Vorständen an die Erreichung der in den Übergangsplänen definierten Ziele.
[1] Siehe Finance Watch Kommentare zum Diskussionspapier: https://www.finance-watch.org/publication/response-to-the-eba-discussion-paper-on-environmental-risks-in-the-prudential-framework/
[2] Über die anschließenden Änderungen der Delegierten Verordnung (EU) 2015/35.