Man bezeichnet einen Markt als liquide, wenn ein Investor eine relativ große Beteiligung über einen längeren Zeitraum hinweg veräußern kann, ohne dass sich der Preistrend gegen ihn richtet.
Bei der Liquidität auf dem Finanzmarkt handelt es sich jedoch um ein zweischneidiges Schwert. In ruhigen Zeiten kann sie sich durchaus positiv auswirken: Der Markt funktioniert besser, wenn sich problemlos Käufer finden, wenn man verkaufen will, und umgekehrt.
Wenn es jedoch zu viel des Guten gibt, dann können die Märkte schnell überreagieren und es überwiegen die negativen Folgen!
Ein Jahr nach Ausbruch der Finanzkrise kamen die Autoren des einflussreichen Turner Review zu dem Schluss, dass eben gerade das übermäßige Vertrauen der Banken in die Liquidität der Märkte eine der wesentlichen Ursachen für die Finanzkrise war. Viele Reformen und Gesetzesvorschläge folgten, von denen einige immer noch ausgehandelt werden.
Heute, sechs Jahre später, sorgen sich die Gesetzgeber erneut um die Liquidität. In den vergangenen Wochen sind die Preise von Unternehmens- oder Staatsanleihen volatiler geworden, d.h. sie sind stärkeren Schwankungen ausgesetzt. Man ist um Griechenland und um die Liquidität besorgt (Economist, FT), darüber, dass die Märkte nicht mehr normal funktionieren (FT) und dass die Liquiditätsprobleme vielleicht sogar eine neue Krise auslösen könnten (WSJ, Reuters).
Einige Finanzlobbyisten nutzen diese Sorgen um die Liquidität dafür, laxere Vorschriften für die Handelsaktivitäten von Banken zu erwirken und beispielsweise zu fordern, die Vorschläge zu einer Strukturreform der Megabanken gänzlich fallen zu lassen. Da viele Großbanken seit fünf Jahren fast jedes Quartal Umsatzeinbußen im Geschäft mit Anleihen, Währungen und Rohstoffen (Fixed income, currencies and commodities, FICC) hinnehmen müssen (FT), käme es ihnen sehr entgegen, wenn die rechtlichen Auflagen gelockert würden.
Aber würde dies den Märkten und der Wirtschaft wirklich helfen? Wir hegen starke Zweifel. Kurzfristige Liquiditätsengpässe müssen wie Symptome behandelt werden, jedoch nicht mit Gesetzesmaßnahmen, die die Ursache nur noch verschlimmern. Wir wollen die Politiker aus diesem Grund an die Lehren aus der letzten Finanzkrise erinnern, damit sie darauf achten, dass sie sich nicht zu sehr von diesem „Liquiditätslobbying“ beeinflussen lassen.
Für den Markt als Ganzer ist die Liquidität Mittel zum Zweck, kein Zweck an sich. Was John Kay über die Aktienmärkte sagte, trifft genauso gut auf andere Märkte zu: „Hieraus folgt nicht, dass der Grad an Liquidität das geeignete Maß für die Effektivität der Aktienmärkte ist.“
Zunächst einmal ist Marktliquidität prozyklisch, funktioniert in etwa so wie die Gezeiten: Sie ist extrem abhängig von der Gier und Angst der Investoren und kann in Krisenzeiten sehr schnell abnehmen. Die meisten Investoren verhalten sich wie Herdentiere, sie wollen investieren, wenn die Märkte steigen, und verkaufen, wenn die Kurse fallen. Das ist insofern problematisch, als dass Finanzmärkte sich bekanntermaßen manisch-depressiv verhalten und von Zeit zu Zeit leicht irrational reagieren.
Zweitens führt eine Fokussierung auf Liquiditätsfragen und Handelbarkeit dazu, dass extrem kurzfristig ausgerichtete Investments im Gegensatz zu Unternehmensbewertungen stärker gefördert werden. Denn Investoren ist es dann vor allem wichtig, schnell verkaufen zu können, wenn sie wollen.
Im Gegensatz dazu sind Investoren, die in illiquide Vermögenswerte investieren, viel eher dazu angehalten, beim Erwerb langfristig zu denken und die Risiken richtig einzuschätzen. Schließlich sind sie sich dessen bewusst, dass sie eventuell nicht so schnell verkaufen können, wenn der Markt fällt.
Der Chief Investment Officer (CIO) zuständig für das Asset Managament bei JPMorgan, Robert Michele, brachte es auf den Punkt: Schleppender Handel könnte „die Leute auf den Märkten dazu zwingen, wieder Investoren zu sein, statt nur Händler“ (FT).
Drittens, und besonders wichtig, bedarf ein prozyklischer Markt kontrazyklischer Elemente: Wenn jeder verkaufen will, dann muss es auch jemanden geben, der in der Lage und willig ist zu kaufen, um einen Zusammenbruch des Marktes zu verhindern. Im Falle der Banken springt hier die Europäische Zentralbank ein. Bei „Nicht-Banken“ (auch Schattenbanken genannt) übernimmt niemand wirklich diese Rolle, da das Schattenbankenwesen kein öffentliches Sicherheitsnetz hat. Damit unser Finanzsystem stabiler wird, haben sich einige Aufseher mit der Frage beschäftigt, ob nicht vor allem die Größe des Schattenbankensektors eingeschränkt werden sollte (NY Fed). Derzeit machen wir jedoch ziemlich genau das Gegenteil, indem wir das Wachstum des Schattenbankensektors mithilfe der Kapitalmarktunion weiter fördern.
Ein erster Schritt wäre es, das Problem zu quantifizieren, d.h. sich genauer anzuschauen, wie Liquidität gemessen und bewertet wird. Die „Turnover Ratio“ , bei der das Handelsvolumen mit der Anzahl ausstehender Aktien ins Verhältnis gesetzt wird, also die gehandelten mit den sich im Umlauf befindenden Wertpapieren, wurde als Beweis dafür angeführt, dass die Liquidität von Unternehmensanleihen in vielen Rechtssystemen abgenommen hat. Wenn allerdings Unternehmensanleihen in der Tat weniger liquide sind, dann liegt das nicht zwangsläufig daran, dass das Handelsvolumen gesunken ist. Es liegt vielmehr daran, dass die Handelsvolumina nicht mit der massiv gestiegenen Ausgabe von Schuldtiteln in vielen fortgeschrittenen und aufstrebenden Volkswirtschaften Schritt gehalten haben. Ein Boom bei den Emissionen am Primärmarkt zeugt vielmehr von einem gesunden Marktzustand. Was die sinkende „Turnover Ratio“ wirklich zeigt, ist eine geringere Wechselhäufigkeit, was wiederum wenig über Marktvielfalt aussagt und sogar ein Kostenvorteil für Endinvestoren sein kann.
Mit den „Bid-Ask-Spread“-Kennzahlen (zu Deutsch Geld-Brief-Spanne) wird die Differenz zwischen dem höchsten Kauf- und dem niedrigsten Verkaufskurs im Markt zu einem präzisen Moment berechnet – laut John Kay würde ein Investor niemals solch eine Transaktion durchführen, aber sei’s drum. Auf den Märkten für Staatsanleihen sind die Geld-Brief-Spannen weitgehend auf Vorkrisen-Niveau zurückgekehrt. Auf Märkten, auf denen die Spannen größer geworden sind, kann das jedoch einfach nur ein Zeichen dafür sein, dass die Preisbildung besser funktioniert, und nicht etwa ein Liquiditätsproblem bedeuten. Schließlich zwingen die neuen Rechtsvorschriften Banken dazu, selbst mehr ihrer eigenen Risiken zu tragen. Übrigens war auch gerade die falsche Risikobewertung bei der Preisbildung einer der wichtigsten Faktoren, die als Ursachen für die Finanzkrise angeführt werden.
Letztlich können die niedrigen Liquiditätskennzahlen viele verschiedene Ursachen und Erklärungen haben. Hier einige Beispiele: Da im Asset-Management-Sektor einige wenige Player immer wichtiger werden, wirken sich auch ihre Entscheidungen viel stärker auf die Liquidität aus. Auch könnte die quantitative Lockerung (Niedrigzinspolitik der Zentralbanken) die Liquiditätskennzahlen beeinflussen, wenn eine große Menge bestimmter Vermögenswerte von den Märkten genommen wird. Daher kann man nicht einfach sagen, dass der Liquiditätsrückgang allein auf strengere Regulierung zurückzuführen ist oder dass die Abschaffung bestimmter Vorschriften wieder Liquidität bringen würde.
Tatsächlich weisen die Liquiditätsprobleme wohl mehr auf strukturelle Probleme hin, die von eben jenen Regulierungen behoben werden sollen. Die Aussage des ehemaligen CEOs der Citigroup, Chuck Prince, ist inzwischen berühmt geworden: „Wenn die Musik aufhört zu spielen, werden die Dinge kompliziert werden, was Liquiditätsfragen angeht. Solange die Musik jedoch spielt, muss man aufstehen und tanzen.“ Damals hörte die Musik auf, weil es Zweifel an der Zahlungsfähigkeit gab, und Liquiditätsprobleme waren die Folge.
Angesichts der Volatilität auf den Märkten für Unternehmens- und Staatsanleihen stellt sich heute die gleiche Frage: Haben neue Rechtsvorschriften zu dem Problem geführt, oder handelt es sich vielmehr um dasselbe Problem wie zuvor, dass man zu sehr auf die Liquidität der kurzfristigen Märkte vertraut und dass die neuen Gesetze noch nicht weit genug gehen, um es zu beheben?
Wenn Keynes schon vor langer Zeit erkannte, dass keine der Maximen der orthodoxen Finanzwirtschaft „anti-sozialer ist als der Fetisch der Liquidität“, dann scheint es sich um ein älteres Problem zu handeln. Seine Schlussfolgerung ist noch heute zutreffend: Das Dogma der Liquidität, so schrieb er, lenkt Investoren von ihrem gesellschaftlichen Zweck ab und lässt vergessen, dass es so etwas wie die Liquidität von Investitionen für die Gemeinschaft als Ganze überhaupt nicht gibt (General Theory, Kapitel 12, Abschnitt V.4).
Ihre größte Aufmerksamkeit der Liquidität zu schenken, macht vor allem für Zwischenhändler Sinn, deren Geschäft nun mal die Transaktionen selber sind. Für Gesetzgeber, die dem „Liquiditätslobbying“ ausgesetzt sind, und ebenso für die Gesamtwirtschaft wäre es jedoch empfehlenswert, einen differenzierteren Standpunkt einzunehmen.