Obgleich Finance Watch und eine Reihe seiner Mitglieder die EU-Abgeordneten darum gebeten hatten, den Gesetzesvorschlag durch Änderungen weiter zu verbessern, damit Verkaufsprovisionen unabhängig von der jeweiligen Vertriebsstruktur verboten und die Schlupflöcher im Bereich der Spekulation mit Rohstoffderivaten geschlossen würden, hat sich die Mehrheit der Abgeordneten dafür entschieden, den Kompromissvorschlag nicht zu gefährden. Nichtsdestoweniger haben die „Schattenberichterstatter“ eine klare Botschaft von beinahe 200 ihrer Kollegen mit auf den Weg in die kommenden Verhandlungen mit den anderen Institutionen (Rat und Kommission) bekommen: Sie wollen einen scharf formulierten Text in Bezug auf Verbraucherschutz und die Spekulation mit Finanzderivaten.
Finance Watch hat schon zuvor vier Gebiete ausgemacht, die von großem öffentlichen Interesse sind (mehr dazu in unserem Positionspapier „Investing not Betting” von April 2012 ).
Was die Abgeordneten jetzt in unseren vier Bereichen beschlossen haben:
– Positionslimits für einzelne Händler, die mit Rohstoffderivaten (einschließlich Nahrungsmitteln) handeln
Die EU-Kommission hatte ein Positionslimit für einzelne Händler in ihrem MiFID 2-Vorschlag vorgesehen. Während wir der Auffassung sind, dass marktweite Grenzen für den Anteil von Spekulation notwendig sind, unterstützen wir die wesentlichen Verbesserungen, die das Parlament am Ursprungstext vorgenommen hat. Einige der entscheidenden Schlupflöcher bleiben bestehen (darunter die Nichteinbeziehung von Positionen, die „over the counter“, d.h. außerbörslich gehandelt werden), daher werden wir die Verhandlungen mit Rat und Kommission genauestens mitverfolgen und uns für eine Schließung der Schlupflöcher einsetzen.
– Ein umfangreiches Instrumentarium, um Hochfrequenzhandel zu regulieren, darunter eine Mindestverweildauer, automatische Handelsstopps und Bestimmungen für die minimale „Tick-Size“ und für geänderte/stornierte Order
Es stand im Raum, ob nur eine oder zwei der oben genannten Maßnahmen angenommen werden sollten, doch die EU-Parlamentarier scheinen verstanden zu haben, dass die Finanzaufsicht im Umgang mit einem sich ständig wandelnden Hochfrequenzhandel eine große Bandbreite an wirkungsvollen Waffen braucht. Dieses Maßnahmenbündel sollte den Regulierungsbehörden ermöglichen, missbräuchliches, räuberisches oder destabilisierendes Verhalten im Hochfrequenzhandel wirksam zu bekämpfen, und unterstützt ähnliche Schritte der Regulierungsbehörden in anderen Märkten. Da das Instrumentarium jedoch weit über die beabsichtigten Maßnahmen in den anderen Märkten (USA, Asien etc.) hinausgeht, würde die EU als Pionier auf diesem Gebiet voranschreiten und sichere, gerechte und gesunde Märkte weltweit fördern.
– Die Einführung einer neuen Handelsplatzkategorie (‚Organised Trading Facility – OTF‘, zu Deutsch „organisierte Handelssysteme“)
Die OTF würden auf solche Nicht-Eigenkapitalinstrumente beschränkt, die nicht auf den existierenden Plattformen (geregelte Märkte und multilaterale Handelssysteme) gehandelt würden. Diese enge Definition zielt darauf ab, Aufsichtsarbitrage zu verringern, indem es nicht mehr so einfach sein wird, Handel von regulierteren auf organisierte Handesplätze zu verlagern.
– Was den Anlegerschutz anbelangt, so sind die Abgeordneten von dem Vorschlag, Beratungsprovisionen generell zu verbieten, wieder abgerückt. Das Provisionsverbot von unabhängigen Berater, wie von der EU-Kommission vorgeschlagen, wurde dagegen beibehalten, und auch stärkere Maßnahmen zur Entschärfung von Interessenkonflikten sind vorgesehen.
Einige Mitgliedstaaten haben ein solches Provisionsverbot unabhängig von der nationalen Vertriebsstrukur bereits eingeführt oder sind dazu gewillt, und sie werden den Rat aufrufen, sich bei den kommenden Verhandlungen für starke Regeln einzusetzen, um Aufsichtsarbitrage unmöglich zu machen (ungleiche Wettbewerbsbedingungen).
Was passiert als Nächstes?
Das heute angenommene Gesetzespaket wird vom Parlament in den Verhandlungen mit dem Rat, der seinen eigenen Vorschlag im November oder Dezember vorlegen wird, genutzt werden. Daraufhin müssen Parlament und Rat in einer Reihe von Treffen mit der Kommission, den sogenannten Trilogen, eine Einigung finden, damit das Paket zum Gesetz werden kann. Dieser Gesetzgebungsprozess zieht sich voraussichtlich bis ins erste Quartal 2013 hin. Daher besteht weiterhin die Gefahr, dass das Paket im Laufe der Triloge verwässert wird, was vor allem daran liegt, dass einige Mitgliedstaaten den Prozess dazu nutzen könnten, Teile ihrer nationalen Finanzindustrie zu verteidigen.
Benoît Lallemand