Klimawandel und Finanzinstabilität – ein Teufelskreis: Die EU hat Mittel ihn zu stoppen | Finance Watch

Klimawandel und Finanzinstabilität – ein Teufelskreis: Die EU hat Mittel ihn zu stoppen

Brüssel, 8. Juni 2020 – Die Nichtregierungsorganisation Finance Watch zeigt in einem heute veröffentlichten Bericht, welche Möglichkeiten die EU-Bankenaufsichtsregeln zur Bekämpfung der negativen Rückkoppelung zwischen Klimawandel und Destabilisierung des Finanzsystems bieten.

In dem Bericht fordert Finance Watch die europäischen Gesetzgeber zum sofortigen Handeln auf, um jenen Teufelskreis zu durchbrechen, bei dem die Finanzindustrie einerseits Investitionen in Wirtschaftsaktivitäten fördert, die fossile Brennstoffreserven erschöpfen und somit die globale Erderwärmung verschlimmern, und der Klimawandel andererseits eben diese Investitionen zu entwerten und damit das Finanzsystem zu destabilisieren droht.

Unter Verwendung der bereits in der Eigenkapitalverordnung (CRR) verfügbaren rechtlichen Instrumente ist es möglich, für Investitionen in bestehende und neue Reserven an fossilen Brennstoffen eine höhere Risikogewichtung in Bankenbilanzen festzulegen. Dies würde die bestehenden gesetzlichen Maßnahmen hinsichtlich Transparenz, Risikomodellierung und Szenarioanalyse wesentlich wirksamer machen.

Thierry Philipponnat, Leiter der Forschungs- und Advocacy-Abteilung von Finance Watch und Autor des Berichts, sagte:

“Ohne eine Trendwende wird das globale Kohlenstoffbudget innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre erschöpft sein. Wir wissen, dass der Klimawandel erhebliche Auswirkungen auf die Finanzstabilität haben wird, auch ohne die Folgen präzise abschätzen zu können. Uns bleibt nur wenig Zeit, daher sollten die Verantwortlichen schnell handeln und bereits existierende Rechtsmittel ausschöpfen. Politiker und Aufseher dürfen nicht auf eine präzise Auswertung von Risiken warten, die nicht kalkulierbar sind, bevor sie etwas gegen die drohende Instabilität des Finanzsystems unternehmen.”

Benoît Lallemand, Generalsekretär von Finance Watch, fügte hinzu:

“Wie eine Reihe von Zentralbankern festgestellt hat, erfordert es die Dringlichkeit der Situation, weniger Zeit mit Risikomodellierung zu verbringen, sondern stattdessen schneller, entschlossener und koordiniert zu handeln. Die Maßnahmen, die wir heute vorschlagen, sind weit weniger radikal oder kostspielig als jene, die als Reaktion auf die COVID-19-Krise ergriffen wurden. Dabei richten sie sich gegen eine weit größere Bedrohung, gegen ein Disruptionsrisiko einer anderen Dimension. Die gute Nachricht ist, dass die EU bereits über die nötigen Rechtsmittel verfügt. Unser neuer Bericht legt klare Schritte dar, welche die EU jetzt und in naher Zukunft unternehmen kann, um den Teufelskreis zwischen Klimawandel und Finanzinstabilität zu durchbrechen.”

Empfehlungen von Finance Watch an politische Entscheidungsträger:

  1. Die Gewichtung von Risikopositionen in Bankbilanzen, die Investitionen in bestehende fossile Energiereserven ermöglichen, sollte gemäß Artikel 128 der Eigenkapitalverordnung (CRR) auf 150% erhöht werden;
  2. die Gewichtung von Risikopositionen in Bankbilanzen, die Investitionen in die Erschließung neuer fossiler Brennstoffreserven ermöglichen, sollte auf 1250% erhöht werden, um solche Positionen vollständig eigenkapitalfinanziert zu machen und sowohl mikro- als auch makroprudenzielle Risiken widerzuspiegeln;
  3. diese modifizierten Risikogewichtungen sollten auch in den internen Risikomodellen zur Berechnung der Eigenkapitalanforderungen der Banken verbindlich angewendet werden;
  4. Artikel 459 der CRR sollte aktiviert werden, um die erhöhten Risikogewichtungen unverzüglich anzuwenden, solange die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Banken im CRR noch nicht geändert worden sind;
  5. die Gewichtung von bestehenden Risikopositionen in Bankbilanzen, die sich auf die Finanzierung fossiler Energiereserven beziehen, sollte im Artikel 128 der CRR abgeändert werden, und von neuen Risikopositionen in Artikel 501 der CRR;
  6. ähnliche aufsichtsrechtliche Anforderungen sollten weltweit mithilfe des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht (BCBS) und des Financial Stability Board (FSB) eingeführt werden.

ENDE

Für Rückfragen oder Interviewanfragen wenden Sie sich bitte an Charlotte Geiger, Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Finance Watch, unter charlotte.geiger@finance-watch.org oder telefonisch unter 0032/474 331031.

 

ANMERKUNGEN FÜR REDAKTEURE

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und die französische Zentralbank warnten im Januar davor, dass der Klimawandel sogenannte „Grüner Schwan“-Ereignisse auslösen und somit zu einer systemischen Finanzkrise führen könnte, wenn Behörden nicht gegen die Risiken vorgehen: “Die Unwägbarkeiten sind derart groß und der notwendige Strukturwandel unseres weltweiten Wirtschafts- und Gesellschaftssystems derart tiefgreifend, dass einzelne Risikomodelle oder -szenarien kein vollständiges Bild der möglichen gesamtwirtschaftlichen, sektorspezifischen und unternehmensbezogenen Auswirkungen des Klimawandels zu liefern vermögen. Grundlegender noch: Klimabedingte Risiken bleiben größtenteils nicht absicherbar, solange keine systemweiten Maßnahmen ergriffen werden.” (Bolton, Després, Pereira da Silva, Samama, Svartzman, “The green swan – Central banking and financial stability in the age of climate change”, Januar 2020).

Angesichts der radikalen Unabschätzbarkeit klimabedingter Finanzrisiken befand das Institute for Innovation and Public Purpose des University College London, dass eine “effiziente” Preisfindung nicht möglich sei, und spricht sich daher für Präventionspolitik aus: “Da der Klimawandel eine schwere und möglicherweise unumkehrbare Bedrohung darstellt, sollte der Mangel an wissenschaftlicher Gewissheit darüber, in welchen Form und zu welchem Zeitpunkt er genau eintrifft, uns nicht von regulatorischen Maßnahmen zur Milderung der Folgen des Klimawandels abhalten.” (Chenet, Ryan-Collins, van Lerven, “Climate-related financial policy in a world of radical uncertainty: Towards a precautionary approach”, Dezember 2019).

Eine neue Studie des Thinktanks Carbon Tracker Initiative geht davon aus, dass die COVID-19-Krise einen Trend beschleunigt, wonach sinkende Nachfrage, niedrigere Preise und steigendes Investitionsrisiko den Wert der Öl-, Gas- und Kohlereserven um fast zwei Drittel, d.h. 25 Billionen Dollar, schrumpfen lassen dürfte. Das Risiko und die Wahrscheinlichkeit gestrandeter Vermögenswerte erhöht sich dadurch massiv. Der drohende Zusammenbruch der fossilen Energiewirtschaft könnte “eine erhebliche Bedrohung für die globale Finanzstabilität” darstellen, indem er den Marktwert von Unternehmen, die in die Erschließung und Förderung von fossilen Brennstoffen tätig sind, vernichtet (Carbon Track Initiative, “Decline and Fall: The Size & Vulnerability of the Fossil Fuel System”, 4. Juni 2020).

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