Die Finanzwelt verstehen #2 – Finanzdienstleistungen in TTIP? | Finance Watch

Die Finanzwelt verstehen #2 – Finanzdienstleistungen in TTIP?

Klicken Sie auf die Themen in der Inhaltsübersicht weiter unten, um das Dossier online zu lesen

 oder laden Sie die PDF-Version herunter 

“ Unternehmen auf der ganzen Welt sind sich wohl darin einig, dass weniger Gesetze mehr Profit bedeuten. Die Verhandlungsführer sind wohl auch leicht davon zu überzeugen, dass Handelsabkommen gut für den Handel und für die Gewinne der Unternehmen sind. Aber es würde ein paar große Verlierer geben – genauer gesagt, den Rest von uns.” Joseph E. Stiglitz, New York Times Blog, 15. März 2014

 

Finance Express: Alles Wichtige zusammengefasst in unserem dreiminütigen Video “Warum fürchtet Finance Watch die TTIP?” mit Charlotte Geiger

TEIL 1 – Die Grundlagen

Einführung

Dieses Dossier soll Ihnen dabei helfen, sich mit den wichtigsten Fakten und Begriffen rund um die derzeit zwischen den USA und der EU verhandelte “Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft” (Engl. Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) vertraut zu machen.

Im ersten Teil („Die Grundlagen“) finden Sie einige allgemeine Informationen zu Handelsabkommen, aktuelle Trends und detailliertere Erklärungen zu den verschiedenen Bestandteilen des TTIP-Abkommens, z.B. die Definition von Begriffen wir „Marktzugang“.

Im zweiten Teil („Die Debatte“) legen wir dar, warum TTIP auch für Finance Watch ein so wichtiges Thema ist. Wir beschäftigen uns insbesondere mit der Frage, ob Finanzdienstleistungen in TTIP eingebunden werden sollten oder nicht.

Wir sehen darin nicht nur deshalb eine Gefahr, weil es Staaten und der EU möglicherweise erschwert, eigene Regeln und Gesetze aufzustellen, sondern es könnte auch zu einem „regulatory chill“ führen, wenn die Angst vor Investorenklagen die gesetzgeberische Aktivität zum Erlahmen bringt oder sogar den Steuerzahlern Kosten aufbürdet. Darüber hinaus befürchten wir, dass es zu weiterer Liberalisierung und größerem Wachstum der Finanzbranche kommt. Nach der Finanzkrise hat die Gesellschaft nur so wenig Fortschritte bei einer strengeren Regulierung des Finanzsektors gemacht, dass wir es uns nicht leisten können, sie wieder zu abzuschwächen.

Was sind Handelsabkommen?

Generell sind Handelsabkommen dazu da, den Handel zwischen zwei oder mehreren Ländern zu fördern, indem Regeln aufgestellt werden, die den Handel zwischen ihnen erleichtern sollen. Zwei zentrale Mechanismen werden dazu genutzt:

  • Senkung oder Abschaffung von Zöllen (auch als tarifäre Handelshemmnisse bezeichnet, engl. Abk. TBT), bei denen es sich um Zölle für Produkte und Dienstleistungen handelt, die bei Import in ein Land anfallen. Auf diese Weise können zwei (oder mehrere) Staaten miteinander handeln und dabei weniger Importzölle zahlen.
  • Senkung oder Abschaffung von sonstigen Handelshemmnissen (nicht-tarifäre Handelshemmnisse, engl. Abk. NTB), bei denen es sich um Regeln, Standards und andere Handelshindernisse handelt, mit Ausnahme von Zöllen. Das können zum Beispiel Importverbote oder Hygienestandards sein.

Die Länder, die ein Handelsabkommen miteinander eingehen, verabreden manchmal auch gemeinsame externe Zölle gegenüber anderen Ländern: Das klassische Beispiel hierfür ist der EU-Binnenmarkt, für den gemeinsame Zölle auf EU-Ebene festgelegt werden.

Heute existieren verschiedene Arten von Abkommen, die sich nach dem Grad der Marktintegration und ihrem Anwendungsgebiet unterscheiden (siehe Tabelle). TTIP fällt dabei unter die Kategorie „Freihandelsabkommen +” (engl. Abkürzung FTA+).

Source: The WTO and preferential trade agreements: From co-existence to coherence, WTO, p.110.

Im Jahr 1947 haben sich Staaten weltweit zusammengeschlossen, um ein multilaterales Handelssystem im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (auf engl. General Agreement on Tariffs and Trade, GATT) zu errichten. Es ist der Vorläufer der Welthandelsorganisation (WTO), die heute 160 Länder umfasst. Auf Basis der „Meistbegünstigungsregelung“ (auf Engl. most-favoured nation, MFN), gelten Regelungen, die zwischen zwei WTO-Mitgliedern beschlossen werden, automatisch auch für alle anderen WTO-Mitglieder. Mit dem Allgemeinen Handelsabkommen für Dienstleistungen (GATS), einem WTO-Abkommen, das 1995 in Kraft trat, wurde das multilaterale Handelsabkommen, das davor nur für den Handel von Waren galt, auch auf den Dienstleistungssektor ausgeweitet. Alle WTO-Mitglieder haben das GATS-Abkommen unterzeichnet. Die Meistbegünstigungsregelung gilt für das GATS ebenfalls.

Jedoch können neben diesem multilateralen System auch präferentielle Handelsabkommen (auf Engl. preferential trade agreement, PTA) außerhalb der WTO eingegangen werden. Diese Abkommen kommen nur den einzelnen teilnehmenden Staaten zu Gute, nicht allen WTO-Mitgliedern. Für sie gilt also nicht die Meistbegünstigungsregelung. Diese Einzelabkommen werden als bilateral bezeichnet, wenn zwei Handelspartner involviert sind, und als regional, wenn mehr als zwei Handelspartner teilnehmen.

Die Zahl der präferentiellen Handelsabkommen, die außerhalb der WTO abgeschlossen wurden, ist im letzten Jahrzehnt stark gestiegen:

Quelle: The Regional trade agreements: Facts and figures, WTO.

Diese Entwicklung kann darauf zurückgeführt werden, dass es der WTO nicht gelungen ist, ihre Agenda auszuweiten, die sie seit 1995 verfolgt. Von Beginn an gab es weltweit eine starke Protestbewegung, die sogenannte Antiglobalisierungsbewegung. Die bekanntesten Demonstrationen fanden 1999 in Seattle und 2001 in Genua statt. Zudem gebietet es die WTO-Verfahrensordnung, dass Entscheidungen nur einvernehmlich getroffen werden können. Auf diesem Weg hat die Mehrheit der Entwicklungsländer neue WTO-Regeln, für die sich Länder wie die USA oder auch die EU-Staaten einsetzen, verhindern können. Jene Länder, die ohne die Mehrheit der WTO-Staaten weitere Vereinbarungen treffen wollen, sind daher dazu übergegangen, präferentielle Handelsabkommen abzuschließen.

Die TTIP ist beispielhaft für diese Entwicklungen, da sie außerhalb der WTO abgeschlossen wird und über ein traditionelles Handelsabkommen hinausgeht.

Copyright 2014 by Michael Goodwin. All rights reserved. Illustrations by Dan E. Burr.

——

Das TTIP-Wirrwarr

Die EU-Kommission bezeichnet die TTIP auch als Handelsabkommen zwischen der EU und den USA. Wie der Name jedoch vermuten lässt, gehen die TTIP-Verhandlungen über den Verhandlungsinhalt traditioneller Handelsabkommen hinaus: Ziel ist es, eine Partnerschaft für Investitionen und den Freihandel zu errichten, mehr als nur Marktzugangserleichterungen (siehe unten). Sie ist jedoch nicht gleichzusetzen mit dem Konzept einer transatlantischen Freihandelszone, die seit den 1970er Jahren unter dem Namen „TAFTA“ (Transatlantic Free Trade Area) bekannt ist. Diese umfasst nämlich weitere bilaterale Handelsabkommen zwischen EU-Staaten, den USA sowie Kanada und Mexiko.

“Freihandelsabkommen TTIP”, Video von Attac Deutschland

——

Im Juli 2013 haben die EU-Staaten der Europäischen Kommission das Mandat erteilt, in ihrem Namen über die TTIP zwischen der EU und den USA Verhandlungen zu führen. Die EU-Kommission teilt offiziell mit: “Ziel ist die Beseitigungvon Handelshemmnissen (d. h. von Zöllen, unnötigen Regelungen, Investitionsbeschränkungen usw.) in einem breiten Spektrum von Branchen und damit die Erleichterung des Kaufs und Verkaufs von Waren und Dienstleistungen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten. Zudem sollen Unternehmen aus der EU und den USA im jeweils anderen Wirtschaftsgebiet leichter investieren können.

Eine Besonderheit der Verhandlungen ist es, dass ein Schwerpunkt auf die „regulatorischen Handelshemmnisse“ gelegt wird. In der Tat gibt es kaum noch traditionelle Handelsbarrieren wie Zölle oder Abgaben zwischen der EU und den USA. Daher geht es bei der TTIP auch in erster Linie darum, die gesetzlichen Regelungen und Vorschriften „handelsfreundlicher“ zu gestalten. Bei diesen sog. regulatorischen Hemmnissen, die durch TTIP abgebaut werden sollen, handelt es sich um Vorschriften und Standards, die zum Schutze der Bürger bestehen.

Dean Baker, einer der beiden Leiter des Center for Economic and Policy Research in Washington, DC:

Unter dem Deckmantel des Freihandels wird in Wahrheit eine ganz andere Agenda verfolgt. Bei dem Deal geht es vielmehr darum, mithilfe eines internationalen politischen Mechanismus ein Regelwerk einzuführen, das auf den normalen Gesetzgebungswegen in den einzelnen Ländern kaum durchsetzbar gewesen wäre. Die Neuregelungen, die im Anschluss an den TTIP-Deal kommen werden, sind mit großer Wahrscheinlichkeit unternehmensfreundlicher statt umwelt- oder verbraucherfreundlicher.Und sie werden kaum zu wirtschaftlichem Wachstum beitragen.

TTIP gehört daher zu einer neuen Art von Handelsabkommen, die nicht mehr länger auf die “Absenkung von Zöllen” abzielen, sondern vielmehr „strukturelle institutionelle Vereinbarungen” (WTO-Bericht 2011, S. 114) umfassen.

——

Positive Effekte überbewertet?

Laut einer Studie des Centre for Economic Policy Research in London unter dem Titel “Reducing barriers to Transatlantic Trade”, die von der EU-Kommission in Auftrag gegeben wurde, würde TTIP für die EU-Wirtschaft einen Gewinn von bis zu 119 Milliarden Euro bedeuten, was einem Zusatzeinkommen von 545 Euro für eine vierköpfige Familie entspräche, und „neuen Jobmöglichkeiten“. Die Ergebnisse dieser wirtschaftlichen Effekte sind jedoch nicht sehr eindeutig kommuniziert worden, z.B. dass die Zusatzeinnahmen nicht jährlich, sondern einmal anfallen. Deshalb haben zwei NGOs, Friends of the Earth und BEUC, in einem gemeinsamen Brief vom 4. Mai 2014 um Klarstellung gebeten. Die EU-Kommission weist die Vorwürfe zurück,wonach sie die Vorteile des TTIP-Abkommens beschönigen würde.

Der britische Journalist Glyn Moody zeigt, dass selbst im besten Falle die positiven Auswirkungen auf die Wirtschaft kaum der Rede wert sind. Seine Ausführungen starten ab Minute 15’35 (oder klicken Sie hier, um direkt dort zu landen):

Darüber hinaus sollten Studien nicht nur die Vorzüge, sondern auch die möglichen Nachteile (Kosten) von TTIP aufzeigen und beides gegeneinander abwägen:

  • Die weitere Liberalisierung des Handels führt zwar zu Gewinnen in einigen Sektoren, aber gleichzeitig auch zu Verlusten in anderen Sektoren.
  • Wenn wir die Kosten für die Steuerzahler in der Folge der Finanzkrise – die teilweise auf die Deregulierung der Finanzmärkte zurückgeführt werden kann – mit den möglichen Gewinnen vergleichen, die durch TTIP erreicht werden könnten, dann scheint Vorsicht geboten.
  • Es ist wesentlich einfacher, die Kosten von Regulierungsmaßnahmen zu berechnen als ihre positiven Effekte, und die Unternehmen sind besser aufgestellt und haben mehr Mittel zur Verfügung als die Zivilgesellschaft, um ihre Positionen durch Studien zu unterlegen.

——

TTIP ist zudem als “living agreement” angelegt, was nichts anderes bedeutet, als dass das Abkommen für künftige Verhandlungen sowie neue Abmachungen/Abänderungen offen ist. Demnach könnten die EU und die USA sich zunächst nur grundsätzlich auf ein Abkommen einigen und die Details später ausarbeiten oder sogar die Rahmenbedingungen später wieder ändern, um sie neuen rechtlichen, politischen oder wirtschaftlichen Umständen anzupassen.

Dies könnte konkret dazu führen, dass viele Verhandlungspunkte, bei denen man zunächst keine Einigung finden kann, auf Eis gelegt werden, und nur ein grundsätzliches Abkommen unterzeichnet wird. Die Diskussion strittiger Punkte würde vertagt, was möglicherweise weniger Raum für eine demokratische Kontrolle lässt.

Wie es Andrew Lang bereits im Zusammenhang mit WTO-Regeln feststellte, geht der Trend bei Freihandelsabkommen dahin, dass sie in erster Linie “auf Wirtschaftlichkeit abzielen, was zulasten von ‘sozialen’ Zielsetzungen geht, die nicht Teil des Mandats sind”. Konkret bedeutet dies, dass Themen wie Finanzstabilität zwar als erstrebenswert genannt werden, aber nicht das Hauptziel des Abkommens sind.

Im Bereich der Finanzdienstleistungen führt dies zu einem Tauziehen zwischen dem Wunsch nach größerer Sicherheit für das eigene Land und dem Wunsch, auf den weltweiten Märkten konkurrenzfähig zu bleiben. Wenn man einerseits Finanzstabilität erreichen und andererseits der Fragmentierung der Finanzmärkte entgegenwirken und den Wettbewerb auf ihnen fördern möchte, was theoretisch einen Preisvorteil für die Verbraucher mit sich bringen sollte, dann müssen diese verschiedenen Zielsetzungen vorsichtig gegeneinander abgewogen werden, da sie nicht nur sehr komplexe, sondern auch politische Fragen aufwerfen.

Bei genauerer Betrachtung ergeben sich für Finance Watch drei Aspekte, in denen TTIP für den Bereich der Finanzdienstleistungen von Bedeutung ist.

  • Marktzugang
  • Rahmen für die Zusammenarbeit in Regelungsfragen
  • Investorenschutz, darunter auch ISDS

(mehr Details zu diesen drei Themen finden Sie in den Abschnitten weiter unten)

Alle drei Aspekte bereiten Grund zur Sorge, da sie den Handlungsspielraum der EU bei einer angemessenen und notwendigen Re-Regulierung für den Bereich der Finanzdienstleistungen erheblich einschränken könnte.

——

Was versteht man eigentlich alles unter Handel im Bereich der Finanzdienstleistungen?

Wenn man vom “Handel im Bereich der Finanzdienstleistungen” spricht, bezieht sich das nicht nur auf Dienstleistungen, die grenzüberschreitend erbracht oder genutzt werden (z.B. wenn ein Verbraucher bei einer ausländischen Bank ein Online-Sparkonto eröffnet), sondern auch auf ausländische Finanzdienstleister, die mithilfe von Investments oder einer gewerblichen Niederlassung (z.B. durch die Eröffnung einer Bankniederlassung in einem anderen Land) im Ausland tätig sind. Mit anderen Worten handelt es sich hierbei um die Öffnung des Finanzsektors für ausländische Direktinvestitionen.

Finanzdienstleistungen” und Investoren aus dem Finanzsektor, die von den TTIP-Regelungen betroffen wären, umfassen alle möglichen Bereiche, darunter Einlagen und andere Bank- oder Versicherungsdienstleistungen, Aktien- und Derivatehandel (einschließlich riskante außerbörslich gehandelte Derivate), Pensionsfondsverwaltung, treuhänderische Dienstleistungen, Steuerberatung (d.h. Hilfe zur Steuerumgehung oder -hinterziehung), Übermittlung und Verarbeitung von Finanzdaten, Geschäftsbanken, Investmentbanken, Hedgefonds, Kapitalanlagefonds, Aktien- und Rohstoffbörsen sowie alle möglichen Arten von Finanzberatung, auch Ratingagenturen.

Mehr dazu hier: “TTIP undermines financial regulation and leaves citizens unprotected” von Myriam Vander Stichele, SOMO

——

So wie es derzeit aussieht, soll mit der TTIP vor allem die Liberalisierung des Dienstleistungssektors vorangetrieben werden. Für Finanzdienstleistungen bedeutet dies, dass der Marktzugang über die WTO-Regeln hinaus erleichtert wird.

——

Mr Jargon erklärt: Was sind “Marktzugangsbestimmungen”?

Unter dem Begriff “Marktzugang”, verstehen Ökonomen die Bedingungen, die es erleichtern oder auch erschweren, eine Ware oder eine Dienstleistung auf einen ausländischen Markt zu bringen, z.B. um sie dort zu verkaufen. Je leichter der Zugang, desto liberalisierter ist der Markt. Im Dienstleistungssektor geht es vor allem darum, die nicht-tarifären Handelshemmnisse abzubauen. Dafür werden in der Regel in multilateralen Handelsabkommen (wie dem GATS-Abkommen) sogenannte Disziplinen festgelegt (= Bestimmungen über notwendige innerstaatliche Regulierung). Hat man sich auf die Disziplinen geeinigt, dann bereitet jedes Land eine ausführliche Liste mit konkreten Verpflichtungen vor.

Diese Liste umfasst alle Teilbereiche des Finanzdienstleistungssektors, den die Handelspartner auf Dauer für Investitionen oder grenzüberschreitenden Handel von Finanzdienstleistungsanbietern des anderen Landes öffnen (positive Liste) oder nicht öffnen (negative Liste) wollen. Das könnten zum Beispiel der außerbörsliche Derivatehandel, treuhänderische Dienstleistungen, Vermögensanlageberater (z.B. Hedgefonds, ETFs) oder auch solche Bereiche sein, in denen die EU derzeit noch gesetzgeberische Maßnahmen diskutiert (z.B. Strukturreformen oder Verschuldungsobergrenzen für Banken).

Für alle Dienstleistungssektoren, in denen Verpflichtungen eingegangen werden, ist es wahrscheinlich, dass die GATS-Bestimmungen übernommen werden. Dazu gehört die Abmachung, dass kein Anbieter schlechter gestellt sein darf als ein inländischer („Inländerbehandlung“). Zudem werden wohl Beschränkungen zur Anzahl/dem Wert von Marktteilnehmern, Geschäften, ausländischem Kapital, Exklusivrechten, Monopolen etc. verboten („Marktzugangsbestimmungen“).

——

Nehmen wir ein Beispiel aus den 1990er Jahren, um zu zeigen, welche Folgen solche Marktzugangsverpflichtungen“ haben können (zusammengefasst von Citizens.org):

“Die Verpflichtungen, die die Vereinigten Staaten im Rahmen der WTO eingegangen sind, entsprachen ganz den Hoffnungen der mächtigen Finanzfirmen, die sich für eine weitere Deregulierung auf nationaler Ebene einsetzten. Diese Firmen drängten auf WTO-Verpflichtungen, die sie dann im Inland nutzen konnten, um den Kongress dazu zu bringen, bestehende Gesetze an diese WTO-Verpflichtungen anzupassen.

So haben sich US-Finanzdienstleister dafür eingesetzt, dass der Glass-Steagall Act von 1933, der es den Bankenholdinggesellschaften untersagte, andere Finanzdienstleistungen anzubieten, wieder abgeschafft wurde. Das Gesetz war einst geschaffen worden, um sogenannte „Brandschutzmauern“ zwischen unterschiedlichen Bankaktivitäten aufzubauen, damit sich die Probleme in einem Sektor nicht auf das gesamte System ausbreiten und zu einem Zusammenbruch führen, wie er während der Großen Depression auftrat. Dieses Trennbankenkonzept, das sowohl für in- als auch ausländische Banken galt, hatte zur Folge, dass ausländische Banken, die Geschäfts- und Investmentbank miteinander kombiniert hatten, nicht auf dem US-Markt Fuß fassen konnten.

Indem also Verpflichtungen im Bereich des “Marktzugangs” für verschiedene Bankdienstleistungen eingegangen wurden, schuf die Clinton-Regierung einen Konflikt zwischen den WTO-Verpflichtungen und bestehendem US-Gesetz. Die Regierung reagierte und ging im Rahmen der eigenen GATS-Agenda die Verpflichtung ein, Änderungen am Glass-Steagall Act vorzunehmen. Die Bestimmungen im Glass-Steagall Act, wonach Bankenholdinggesellschaften sich nicht an anderen Finanzunternehmen beteiligen durften, wurde mit der Annahme des Gramm-Leach-Bliley Act wieder aufgehoben. [Anm. d. Red.: Bereits seit den 1960er Jahren gab es zahlreiche Versuche, die strikte Trennung zu durchbrechen, die den Glass-Steagall Act Stück für Stück aushöhlten, bevor es schließlich zu diesem endgültigen Todesstoß kam.]

Die Vereinigten Staaten haben dann die laufenden WTO-Verhandlungen über Finanzdienstleistungen dazu genutzt, ihr Modell der forcierten Deregulierung in die mehr als 100 anderen WTO-Unterzeichnerstaaten zu exportieren, dazu gehört auch das „Financial Service Agreement“ im Rahmen der WTO, das 1999 in Kraft trat.”

Es ist nicht schwer, dieses Szenario auf künftige Bankenstrukturreformen in der EU zu übertragen, z.B. Reformen, die rechtliche Vorschriften zur Trennung von Einlagengeschäft und Investmentbanking einführen, oder auch das „Ring Fencing“ von Bankaktivitäten, wie es in Großbritannien geplant ist. Diese Regelungen könnten verboten werden, insofern sie als “Maßnahmen, die bestimmte Arten rechtlicher Unternehmensformen oder von Gemeinschaftsunternehmen beschränken oder vorschreiben, durch die ein Dienstleistungserbringer eine Dienstleistung erbringen darf” (GATS, Art. XVI), angesehen würden und damit den „Marktzugangsbestimmungen“ widersprechen würden.

Es gibt nur eine Möglichkeit, wie man solche Regelungen dennoch erlauben könnte, und zwar indem man sie von der Liste der Verpflichtungen ausnimmt (siehe oben). Auch im TTIP-Abkommen sind Ausnahmen für Verpflichtungen für die „Marktzugangsbestimmungen“ möglich. Man nennt diese vorbeugenden Generalausnahmen auch „prudential carve-outs“, die es Staaten ermöglichen sollen, Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen, z.B. für die Finanzstabilität oder den Verbraucher-/Anlegerschutz. Dennoch dürfen solche Ausnahmen „nicht belastender als nötig“ (GATS, Art. VI) sein.

Gemäß §39 des geheimen Verhandlungsmandats der EU-Kommission, sieht es in der Tat so aus, als ob der freie Handel über Aufsichtsvorschriften gestellt wird. Dort heißt es, dass es nur dort TTIP-Ausnahmeregeln geben darf, wo „ernste Schwierigkeiten für die Durchführung der Wechselkurs- oder Währungspolitik, aus aufsichtsrechtlichen Gründen oder für Steuerzwecke“ zu befürchten sind. Konkret bedeutet dies, dass die Finanzlobby immer das Argument anführen kann, neue Regelungen zur Vermeidung einer Finanzkrise seien zu belastend.

Der US-amerikanische Juraprofessor Michael S. Barr (rechts) einer der Autoren der Dodd-Frank Wall Street Reform, ist der Ansicht, dass dieses zentrale TTIP-Prinzip (Regulierung darf nicht belastender als nötig sein) im Widerspruch zu den Lektionen steht, die wir aus der Krise gelernt haben: Nicht alle Probleme können vorausgesagt werden, und daher sind immer auch präventive Maßnahmen notwendig.

Marktzugangsbestimmungen im Bereich der Finanzdienstleistungen könnten daher die EU in ihren gesetzgeberischen Fähigkeiten beschneiden, um Regulierungsmaßnahmen durchzusetzen, die vor künftigen Finanzkrisen schützen.

Der US-Botschafter Anthony L. Gardner sagte im Juli 2014, dass es zwar ein Kapitel zum Finanzmarktzugang im TTIP-Abkommen geben sollte, jedoch scheint die USA nicht davon überzeugt zu sein, außerdem noch “einen formellen Mechanismus für einen Finanzregulierungsdialog in einem Handelsabkommen vorzusehen” (siehe Interview auf Euractiv, 14. Juli 2014).

Unterdessen plant die EU-Kommission weiterhin, zusätzlich zur oben beschriebenen Marktöffnung einen Rahmen für eine Regulierungszusammenarbeit bzw. -dialog im Bereich der Finanzdienstleistungen einzuführen,

  • um zu vermeiden, dass künftige Regulierungsmaßnahmen neue Handelsbarrieren für den Handel im Finanzsektor schaffen, und stattdessen den Marktplatz für Finanzfirmen effizienter zu gestalten;
  • um die bestehenden Regelungen in den USA und der EU kompatibler zu machen;
  • um einen institutionalisierten Dialog bzw. Regulierungszusammenarbeit zu schaffen, damit zum Beispiel über die Konflikte zwischen Regelungen diskutiert und die Ergebnisse solcher Dialoge im TTIP-Abkommen verankert werden können (obwohl es solche Foren bereits gibt).

Mit welchen Konsequenzen müsste man rechnen? Die EU-Kommission verfolgt das Ziel, die Finanzregulierung auf beiden Seiten des Atlantiks zu harmonisieren. Damit soll eine Situation vermieden werden, in der Finanzfirmen es entweder mit zwei verschiedenen Gesetzeslagen zu tun haben (eine europäische, eine amerikanische) oder sich Schwachstellen in einer der beiden zunutze machen. In der Praxis könnte dies dazu führen, dass Regulierungsmaßnahmen zunächst zwischen EU- und US-Gremien diskutiert werden, bevor sie Parlamenten vorgelegt werden. Ein besserer Service für Bürger oder Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse der Realwirtschaft befriedigt werden, sind nicht als Zielvorgaben gesetzt. Außerdem geht der Vorschlag für eine vertiefte Regulierungszusammenarbeit nicht mit einem entsprechenden Vorschlag für eine verbesserte Zusammenarbeit im Bereich der Finanzaufsicht einher, was notwendig wäre, um Finanzstabilität zu gewährleisten.

——

Kennen Sie TiSA, den großen Bruder von TTIP?

Derzeit werden noch eine Reihe anderer wichtiger bilateraler oder multilateraler Abkommen verhandelt, mit denen der Handel im Bereich der Finanzdienstleistungen weiter liberalisiert werden soll. Über 50 Staaten, darunter die 28 EU-Staaten und andere WTO-Mitgliedsländer, verhandeln über das “Trade in Services Agreement” (TISA). Beabsichtigt wird hierbei, die Erfordernisse an die innerstaatliche Regulierung zu verschärfen und einen Präzedenzfall für andere Dienstleistungsverhandlungen zu schaffen. Die TiSA-Regelungen in Bezug auf die Regulierung von Finanzdienstleistungen könnten noch über die derzeitigen TTIP-Verhandlungen hinausgehen (z.B. einen Stillstand gesetzgeberischer Aktivitäten). Mehr dazu z.B. auf der Internetseite der Tagesschau.

——

Die EU hat verschiedene Mechanismen für einen besseren Investorenschutz im TTIP-Abkommen vorgeschlagen, dazu gehört insbesondere das Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS). Es würde großen Finanzmarktakteuren erlauben, Staaten für direkte oder indirekte Enteignung Enteignung zu verklagen, worunter auch gesetzliche Regelungen fallen können, die (künftigen) Gewinnen von Investoren im Weg stehen. Mit anderen Worten: Banken und andere Finanzfirmen könnten Regierungen für Maßnahmen verklagen, die zur Vermeidung einer neuen Finanzkrise ergriffen wurden und dabei ihren Gewinn schmälern.

Das Prinzip, das hinter diesem Mechanismus steht, ist von Grund auf anti-demokratisch, insbesondere deswegen, weil privaten Investoren das Recht gegeben wird, gesetzliche Regelungen in Frage zu stellen, die von demokratischen Institutionen im Interesse der Bürger aufgestellt worden sind. So könnte es dazu kommen, dass ein Staat eine Strafe zahlen müsste, falls das private Schiedsgericht dem Investor Recht gibt. Die Höhe der Strafe könnte schnell bei mehreren Milliarden Euro liegen, die dann vom Steuerzahler aufzubringen wären.

Kein Wunder also, dass sich in der Zivilgesellschaft starker Widerstand gegen diesen Plan regte! Daher hat die EU-Kommission im März 2014 eine öffentliche Konsultation zu ISDS gestartet, die auf großes Interesses stieß: Mehr als 99% der 150.000 Antworten kamen von Bürgern. Ein Großteil der Beiträge wurde im Rahmen von Gemeinschaftsaktionen, die zwischen zivilgesellschaftlichen Gruppen koordiniert wurden, eingereicht. Wie viele andere NGOs hat sich auch Finance Watch in seinem Konsultationsbeitrag klar gegen ISDS ausgesprochen. Leider wurde bei der Konsultation nicht ganz grundsätzlich die Frage gestellt, ob wir ISDS überhaupt brauchen.

Wie vorherige Erfahrungen zeigen, sind mithilfe von Abkommen, die einen ISDS-Mechanismus vorsehen, bestehende Gesetze scharf attackiert und teilweise sogar abgeschafft worden. Bereits die Befürchtung einer Verpflichtung zur Zahlung hoher Schadensersatzsummen an ausländische Investoren, die eine solche Klage einreichen könnten, führte in manchen Fällen dazu, dass die Gesetzgeber von neuen regulierenden Maßnahmen wieder Abstand nehmen (sog. regulatory chill).

So gab es bereits Unternehmen, die eine Klage gegen staatliche Maßnahmen, die in Folge der Finanzkrise ergriffen wurden, einreichten: Im Mai 2013 haben slowakische und zypriotische Investoren den griechischen Staat für eine Schuldenumwandlung verklagt, die er mit seinen Gläubigern hatte aushandeln müssen, um Rettungsgelder von der EU und dem Internationalen Währungsfonds zu erhalten. Sowohl die UN als auch der IWF haben davor gewarnt, dass Investitionsabkommen die staatlichen Eingriffsmöglichkeiten, um gegen Finanz- und Wirtschafts-krisen anzugehen, erheblich einschränken. Hier sind noch ein paar weitere drastische Fälle!

Hinzu kommt noch, und das liegt an der Natur solch privater Schiedsgerichte, die sich von direkten Gerichtsverfahren in der Gesetzgebung des jeweiligen Staates wesentlich unterscheiden, dass es für die Zivilgesellschaft sehr schwierig wird, ein wirksames Gegengewicht bei den Konzernklagen zu schaffen. Laut den Daten von UNCTAD schrecken US-Firmen keinesfalls davor zurück, auf dem Wege von ISDS-Mechanismen Schadenersatz einzufordern – im Gegenteil! Auch der Trans-Atlantic Consumer Dialogue (TACD), weist darauf hin, dass “Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, wie mächtige Interessensgruppen, von Tabakfirmen bis hin zu umweltverschmutzenden Konzernen, die Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismen dazu genutzt haben, um Schutzstandards für Verbraucher und die Umwelt anzugreifen und zu untergraben.

Copyright 2014 by Michael Goodwin. All rights reserved. Illustrations by Dan E. Burr.

Teil 2: Die Debatte und die Position von Finance Watch

Ganz grundsätzlich sollten wir uns erst einmal die Frage stellen, ob der Finanzmarkt wirklich noch weiter liberalisiert werden muss. Schließlich gibt es zunehmend Indizien dafür, dass die Grundannahme des TTIP-Abkommens, und zwar dass die EU- und US-Wirtschaft von einem weiteren Ausbau der Finanzmärkte profitieren würden, falsch sein könnte.

Nach der schwersten Finanzkrise seit Jahrzehnten kann man nicht einfach davon ausgehen, dass die Liberalisierung der Finanzmärkte an sich erstrebenswert ist. Es ist an der Zeit, jenes vorherrschende Dogma, das seit den 1980er Jahren als Begründung für die Deregulierung der Finanzmärkte angeführt wurde, auf seinen Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Vor einer weiteren Liberalisierung des Finanzmarkts sollte man sich vor Augen führen, inwieweit diese selbst zur Erhöhung des systemischen Risikos beigetragen hat.

Jüngste Studien belegen, dass es “zu viel” Finanzwesen geben kann! Sobald ein gewisser Grad an „Finanzialisierung“ (d.h. die wachsende Bedeutung des Finanzsektors gegenüber anderen Sektoren innerhalb einer Volkswirtschaft) erreicht wurde, trägt es kaum zum Wachstum der Realwirtschaft bei und kann sich sogar negativ auswirken.

Laut einer kürzlich veröffentlichten BIS-Studie “fördern Banken und Märkte zwar auf komplementäre Weise das Wachstum der Wirtschaft, jedoch kann sich dieser Effekt ab einem gewissen Punkt auch ins Gegenteil verkehren: Ab dann gehen jede weitere Vermittlungstätigkeit von Banken oder jeder weitere Ausbau der Finanzmärkte Hand in Hand mit niedrigerem Wachstum”.

Diese Abbildung zeigt, dass das Verhältnis zwischen Wachstum und Anteil des Finanzsektors an der Gesamtbeschäftigung einer umgekehrten U-Kurve entspricht. Solange der Beschäftigungsanteil des Finanzsektors generell gering ist, geht sein Anwachsen mit einem höheren BIP-Wachstum-per-Arbeitnehmer einher. Ab einem gewissen Punkt jedoch wirkt sich ein größerer Finanzsektor negativ auf das Produktivitätswachstum aus. Dieser Schwellenwert wurde in allen Industriestaaten schon vor langer Zeit weit überschritten!

Eine IMF-Studie bestätigt dieses Ergebnis und kommt zu dem Schluss, dass es “in Ländern mit sehr großen Finanzsektoren” wie den USA und EU-Mitgliedstaaten “keinen positiven Zusammenhang zwischen der Ausweitung des Finanzsektors und dem Wirtschaftswachstum gibt”.

Diese Erkenntnisse gilt es zu berücksichtigen, bevor man mit dem TTIP-Abkommen eine weitere Liberalisierung der Finanzmärkte fördern möchte.

 

Copyright 2014 by Michael Goodwin. All rights reserved. Illustrations by Dan E. Burr.

Seit Beginn der Verhandlungen zwischen der EU-Kommission und US-Vertretern im Juli 2013 ging von Seiten zivilgesellschaftlicher Organisationen massive Kritik gegen TTIP aus, da durch die mögliche Senkung gesetzlicher Normen und Sicherheitsstandards eine Gefahr für Verbraucher sowie die Gesellschaft als Ganze bestehen könnte. Dessen ungeachtet fanden die Verhandlungen weiter hinter verschlossenen Türen statt. Der Verhandlungstext und andere wichtige Dokumente werden der breiten Öffentlichkeit vorenthalten und auch Europaabgeordnete haben nur begrenzten Zugang. Dieser Transparenzmangel eröffnet Räume für Spekulation und verhindert eine sachliche Debatte über TTIP.

Angst kann man nicht mit Dunkelheit bekämpfen… Die Öffentlichkeit ist zu Recht argwöhnisch in Bezug auf TTIP, da wir nicht genau wissen, was auf dem Spiel steht. Es kann nicht sein, dass die Bürger nur mit Hilfe heimlich durchgesickerter Dokumente erfahren, was in ihrem Namen verhandelt wird. Der Absichtserklärung für mehr Transparenz müssen auch entsprechende Taten folgen, insbesondere die Offenlegung dessen, worüber im Detail verhandelt wird.

Thierry Philipponnat, März 2014

Die EU-Kommission hat versucht, auf die Vorwürfe mangelnder Transparenz bei den Handelsgesprächen zu reagieren, unter anderem mit ihrem Factsheet vom Juni 2013 oder durch öffentliche Veranstaltungen, sog. Stakeholder Briefings (wie im Juli 2014, bei der Demonstranten vom Sicherheitspersonal entfernt wurden, siehe Video). Jedoch reichen solche Initiativen nicht aus, wenn man bedenkt, dass die Bevölkerung keinerlei Einfluss auf die Gespräche hat.

Wenn mehr Transparenz dazu führen würde, dass sich ein Großteil der Bevölkerung gegen ein Handelsabkommen stellen würde, dann sollte ein solches Abkommen nicht auf der Agenda der Vereinigten Staaten stehen.

Sen. Warren – 19. Juni 2013

Die Geheimhaltung der Verhandlungen verhindert eine demokratische Teilhabe sowie eine möglichst umfassende und wirkungsvolle Beteiligung von Interessengruppen bei allen Verhandlungsetappen. In Ermangelung dessen kann die Zivilgesellschaft kaum abschätzen, wie sich einzelne Bestimmungen des Abkommens aufeinander auswirken.

Aus diesem Grund forderte Finance Watch gemeinsam mit 250 anderen Organisationen und Netzwerken die EU-Kommission in einem Brief dazu auf, die Handelsgespräche zwischen der EU und den USA nach außen zu öffnen und den Fortgang der Verhandlungen transparenter zu machen.

Hier gibt es den Brief zum Nachlesen

TTIP-Befürworter

Wenn Finanzdienstleistungen Bestandteil von TTIP wären, würden die Finanzmärkte größer, besser integriert und sicherer werden, was zum Wirtschaftswachstum beiträgt und Arbeitsplätze schafft.

Finance Watch

TTIP beruht auf der Annahme, dass ein größerer Finanzsektor (und mehr Handel im Allgemeinen) wünschenswert ist – doch stimmt das überhaupt? Tatsächlich gibt es keine Indizien dafür, dass ein größerer Finanzsektor auch größeres Wachstum bedeutet, eher im Gegenteil. Sowohl die EU- als auch die US-Wirtschaft haben bereits stark entwickelte Finanzsektoren; eine weitere „Finanzialisierung“ würde daher wohl mehr Schaden als Nutzen bringen, was sich in niedrigerem Wachstums und zusätzlicher Finanzinstabilität niederschlagen würde. Des weiteren belegen verschiedene Studien, dass zunehmende „Finanzialisierung“ mit ungerechterer Einkommensverteilung und Erwerbslosigkeit einhergeht. (siehe „Müssen wir den Finanzmarkt wirklich noch weiter liberalisieren?“)

——

TTIP-Befürworter

Handelsgespräche sollten mit einem gewissen Grad an Vertraulichkeit geführt werden, um die Verhandlungsstrategie und -ziele der Unterhändler nicht zu verraten. Ohnehin werden die TTIP-Verhandlungen transparenter geführt als bei allen vorherigen Freihandelsabkommen.”

Finance Watch

Wie das Corporate Europe Observatory aufzeigt, spricht die EU-Kommission in ihren Veröffentlichungen nur einige wenige Inhalte der Verhandlungen zwischen den USA und der EU an – der Rest ist weiterhin geheim. Einige Schlüsselinformationen wie beispielsweise das Mandat, das der EU-Ministerrat der EU-Kommission erteilte, um die Verhandlungen aufzunehmen, ist weiterhin offiziell nicht öffentlich zugänglich!

Letzten Endes sind die Argumente für eine Geheimhaltung nicht haltbar: In den Verhandlungen der Welthandelsorganisation legen alle Staaten (auch europäische) ihre Verhandlungspositionen offen. Warum dann nicht auch für TTIP?

——

TTIP-Befürworter

Es ist wichtig, dass die USA und die EU ihre Finanzregulierung harmonisieren und neue Regelungen besser miteinander abstimmen. Damit wird es Finanzinstituten leichter gemacht, diesseits wie jenseits des Atlantiks Geschäfte zu machen, was letzten Endes die Kosten für Verbraucher senkt.

Finance Watch

Engere Zusammenarbeit (sog. regulatorische Konvergenz) hört sich sinnvoll an, oder? Aber es gibt einen Haken: Zusammenarbeit ist bereits möglich, sowohl im Rahmen von US-EU-Foren wie dem Financial Markets Regulatory Dialogue (FMRD)als auch mithilfe internationaler Institutionen wie dem Financial Stability Board (FSB), dem Basler Ausschuss für Bankaufsicht (BCBS) oder der International Organization of Securities Commissions (IOSCO). In der Tat würde eine bilaterale Zusammenarbeit, wie sie TTIP vorsieht, die bisherige Arbeit dieser Institutionen untergraben, welche genau darin besteht, Regulierungsstandards weltweit zu vereinheitlichen (mutilaterale Zusammenarbeit).

Schließlich besteht auch die Gefahr, dass sich bei einer Harmonisierung von Gesetzen und Standards oder in einem System der gegenseitigen Anerkennung der kleinste gemeinsame Nenner durchsetzen würde. Das könnte in eine „Abwärtsspirale“ (sog. „race to the bottom“) führen, und zwar auf Kosten von Bürgern/Steuerzahlern/Verbrauchern. EU-Kommissar De Gucht beschwichtigt, es werde keine Senkung der Standards geben; er macht aber keine genaueren Angaben dazu, wie das tatsächlich erreicht werden soll.

——

TTIP-Befürworter

Wir brauchen ein Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS), um Investoren verlässlichen Schutz zu bieten.

Finance Watch

ISDS war ursprünglich dazu gedacht, ausländische Investoren vor staatlicher Willkür in Ländern mit schwachen Rechtssystemen zu schützen. Allerdings gehören die Rechtsysteme in den USA und in der EU zu den besten und am weitesten entwickelten der Welt! Das bedeutet wiederum, dass es bereits genügend Mittel gibt, um Investoren ausreichenden Schutz zu gewährleisten. Und überhaupt, warum sollte man ausländischen Investoren mehr Rechte zugestehen als allen anderen, sei es Bürgern, öffentlichen Institutionen, Unternehmen etc.?

Zudem birgt ISDS die Gefahr, neue Rechtsvorschriften von vornherein auf Eis zu legen (auf Engl. „regulatory chill“): Demokratisch gewählte Parlamente oder Regierungen könnten davor zurückschrecken, neue Gesetze zum Schutz von Bürgern und der Umwelt zu verabschieden, da sie befürchten müssen, von Unternehmen vor ISDS-Schiedsgerichte gezerrt zu werden, wo diese hohe Schadensersatzzahlungen erstreiten können. Potenziell kann jeder dieser Streitfälle den Staat viel Geld kosten… oder genauer gesagt den Steuerzahler!

Für Finance Watch spricht nichts dafür, Finanzdienstleistungen zu einem Bestandteil von TTIP zu machen. Ganz im Gegenteil befürchten wir, dass die EU-Pläne zu mehr regulatorischer Zusammenarbeit eher zu den niedrigsten gemeinsamen Standards und nicht den höchsten führen!

Finance Watch bei ECON-Anhörung im Europaparlament

Der Generalsekretär von Finance Watch wurde ins Europaparlament eingeladen, um am 18. März bei einer Anhörung vor dem ECON-Ausschuss zu sprechen und machte dabei drei wichtige Beobachtungen zu den TTIP-Verhandlungen. Erstens scheint das Gemeinwohlinteresse nicht an oberster Stelle zu stehen. Zweitens ist ein Freihandelsabkommen nicht der richtige Ort, um regulatorische Konvergenz voranzutreiben. Drittens muss man im Prozess der Harmonisierung von Vorschriften auch die Aufsichtsmechanismen angleichen, damit neue Gesetze in verschiedenen Ländern identisch umgesetzt werden. Bisher sind dafür in der TTIP keine Lösungen vorgesehen.

Hier können Sie das Video anschauen:

  • Laut einer “geleakten“ Kopie des Verhandlungsmandats der EU-Kommissionscheinen bestimmte Abmachungen, die Gegenstand der Verhandlungen sind, der Politik künftig die Hände zu binden, wenn es darum geht, das Gemeinwohl vor Privatinteressen zu stellen. Dadurch wäre die übliche Prioritätensetzung auf den Kopf gestellt, wonach das Gemeinwohl klar vor privaten Interessen stehen sollte.
  • Finance Watch fordert von Politikern eine Übersicht, die den angeblichen Nutzen von TTIP für jeden Sektor klar beziffert. Nur so kann wirklich nachvollzogen werden, warum die Einbindung von Finanzdienstleistungen in das TTIP-Abkommen, sowohl in Bezug auf den Marktzugang als auch auf die Regulierungszusammenarbeit, der breiten Öffentlichkeit Vorteile bringen würde.
  • Inwieweit vergangene Liberalisierungswellen auf den Finanzmärkten zur verstärkten Vernetzung innerhalb des Systems, zur Bildung von Finanzblasen, zu dessen Platzen und zum rasanten Ausweiten von Instabilität im globalen Finanzsystem im Zusammenhang mit der letzten Finanzkrise beigetragen haben, ist bis heute nicht genau erforscht. Eine solche Untersuchung sollte unbedingt vorgenommen werden, bevor man eine weitere Liberalisierung ins Auge fasst.
  • Ein Freihandelsabkommen bietet nicht den richtigen Rahmen, um regulatorische Konvergenz voranzutreiben: Rechtskonvergenz im Bereich der Finanzregulierung ist ein erstrebenswertes Ziel, allerdings erscheint ein Handelsabkommen dafür denklich ungeeignet. Stattdessen sollte man bestehende Foren auf multilateraler Ebene (z.B. FSB, IOSCO, BCBS, IWF) ausbauen oder reformieren; gleiches gilt für bilaterale Foren wie dem Financial Markets Regulatory Dialogue zwischen der EU und den USA.

Der öffentiche Aufschrei gegen TTIP ist kaum verwunderlich, schließlich sind von TTIP neben Finanzdienstleistungen viele andere Sektoren betroffen, die sich unmittelbar auf unseren Alltag auswirken könnten – von Lebensmittelsicherheit über Umwelt- und Verbraucherschutz bis hin zu Gesundheitsstandards.

In diesem Dossier haben wir uns mit der Frage beschäftigt, ob Finanzdienstleistungen Bestandteil von TTIP sein sollten, wenn es überhaupt zu dem Abkommen kommen sollte. Und auf diese Frage haben wir eine klare Antwort: Bürger auf beiden Seiten des Atlantik wären besser geschützt und wahrscheinlich besser gestellt, wenn Finanzdienstleistungen nicht Bestandteil des Abkommens wären!

Sich schlau machen!

Wenn Sie mehr über TTIP erfahren möchten, finden Sie hier einige (auch unterhaltsame) Links:

Offizielle Dokumente / Internetseiten

Finance Watch-Materialien

  • Anhörung vor dem ECON-Ausschuss des EU-Parlaments über TTIP und Rechtsvorschriften für Finanzdienstleistungen (Video)
  • Beitrag zur ISDS-Konsultation (pdf) und dazugehöriger Blogartikel (Webseite)
  • Offene Briefe von verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen, darunter auch Finance Watch, zum Thema “Finanzregulierung und TTIP” (1. Oktober 2014) und “Transparenz” (19. Mai 2014)

Weitere Informationen:

  • TTIP Negotiations and Financial Services. Issues and Problems for Financial Services Regulation” von SOMO, 16. Oktober 2013 (pdf, auf Engl.)
  • Leaked document shows EU is going for a trade deal that will weaken financial regulation“, CEO and SOMO, 1. Juli 2014 (Analyse, auf Engl.)
  • The Transatlantic Trade and Investment Partnership“, Rosa Luxemburg Stiftung, Brussels Office, März 2014 (pdf, auf Engl.)
  • TIPP und Finanzdienstleistungen” von WEED, 31. März 2014 (Präsentation, auf Dt.)
  • Attac TTIP (Facebook-Seite, auf Dt.)
  • Freihandelsabkommen TTIP stoppen!” von Attac Deutschland, 5 März 2014 (Video, auf Dt.)
  • Der große Deal“, ARD-Dokumentation über TTIP, 4. August 2014 (Video, auf Dt.) und Stellungnahme der EU-Kommission, 5. August 2014 (Pressemitteilung)
  • Gefährliche Geheimnisse“, 3sat-Dokumentation, 24. Juli 2014 (Video, auf Dt.)
  • Economix explains “Free Trade” (Cartoon, auf Engl.)

Mitmachen!

Es gibt eine Reihe Initiativen zivilgesellschaftlicher Organisationen und anderer Gruppierungen, die ihre Bedenken zu TTIP äußern oder aktiv dagegen protestieren.

Hier sind einige davon:

Bilder (siehe pdf-Version):

© European Union 2012 EP (Cover photo), © World Trade Organisation (S. 4), © Michael Goodwin/Dan E. Burr. (S. 5, 10, 12), © Attac Germany (S. 5), © re:publica (S. 6), © SOMO (S. 7), © Michael S. Barr (S. 9), © TNI/UNCTAD (S. 10) © BIS (S. 11)

Go to all Understand Finance