10 Jahre Finance Watch gegen die Bankenlobby

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Vor zehn Jahren wurde auf Initiative von EU-Abgeordneten verschiedener Parteien die Organisation Finance Watch gegründet. Sie trat an, um der übermächtigen Bankenlobby in Brüssel die Stirn zu bieten. Haben sich die Erwarungen erfüllt?

Hinweis: Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der Frankfurter Rundschau.

Bildrechte: © AFP

Der SPD-Europa-Abgeordnete Udo Bullmann reagiert auf die Gesprächsanfrage mit fast zärtlich anmutenden Worten. Er sei zwar inzwischen im EU-Parlament nicht mehr so stark mit Finanzthemen befasst: „Aber ich rede dennoch gerne darüber. Denn es ist ein Baby, das mir damals sehr am Herzen gelegen hat“, sagt er. Mit dem „Baby“ meint er die Organisation Finance Watch, die im Jahr 2011 auf Initiative von EU-Abgeordneten verschiedener Parteien ins Leben gerufen wurde und in diesem Monat zehn Jahre alt wird. Die Ursprungs-Idee: Mit Finance Watch sollte es endlich einen Gegenspieler zur mächtigen Bankenlobby in Brüssel geben.

Die Gründung von Finance Watch wurde damals intensiv von den Medien begleitet und gefeiert. Es passte zur Stimmung – denn die war gegen die Banken. Nur wenige Monate nach der Gründung von Finance Watch zogen, ausgehend von der Occupy-Wall-Street-Bewegung in den USA, weltweit Hunderttausende durch die Straßen und demonstrierten gegen die Macht der Banken. Die Brüsseler Politik war damit beschäftigt, die Lehren aus der Finanzkrise ab 2007 zu ziehen. Eine schärfere Regulierung der Branche sollte her.

Doch die Lobby hielt mit enormer Kraft dagegen. Exemplarisch nannten damals viele Abgeordnete das schwierige Unterfangen im Jahr 2010, Hedgefonds schärfer zu regulieren. 1690 Änderungsvorschläge wurden ins EU-Parlament eingebracht, die meisten davon hatte die Finanzlobby den Abgeordneten vorformuliert. Bis zu 15 Lobbyisten bearbeiteten die beteiligten Parlamentarier:innen gleichzeitig.

„Pro Paragraf saßen uns da 20 Juristen der City of London gegenüber, die alles auseinandernahmen“, erinnert sich Bullmann. „Ich weiß noch, wie wir Geld in der Fraktion zusammengekratzt haben, um eine französische Anwaltskanzlei anzuheuern, die sich gut mit Hedgefonds auskannte. Und wie wir uns einen indischen Berater aus der Hedgefonds-Industrie genommen haben, damit wir irgendwie auf Augenhöhe mit der Lobby spielen konnten. Wir hatten einfach nichts anderes. Und das hatten wir satt“, so Bullmann. So beschloss eine Gruppe von Abgeordneten aus verschiedenen Ländern, Finance Watch ins Leben zu rufen.

Die Aufgabe: Tricks der Banken durchschauen

Die Organisation sollte den Politiker:innen im Parlament und der EU-Kommission mit Sachkompetenz helfen, die Tricks der Banken zu durchschauen und eine bessere Regulierung auf den Weg zu bringen. Sie sollte in Anhörungen die Argumente der Bankenlobby widerlegen und die Öffentlichkeit an die Bedeutung einer scharfen Regulierung des Sektors erinnern. Der Traum war, dass die Organisation mittelfristig Büros in anderen europäischen Städten wie Paris, Berlin und London eröffnet. Die Erwartungen waren hoch. Was ist daraus geworden?

Fragt man Benoît Lallemand danach, der Finance Watch heute leitet, ist seine Frustration offensichtlich. „Ich liebe meinen Job“, sagt er. „Aber es ist eine unmögliche Aufgabe.“ Welche Erfolge Finance Watch zu feiern hat? Auf diese Frage holt er erst einmal aus: „Ich möchte, dass Sie die Umstände verstehen, unter denen wir arbeiten. Damit Sie dann auch unsere Leistungen richtig einordnen können.“

Er spricht über die Finanzierung von Finance Watch, die er als „Konstruktionsfehler“ von Beginn an bezeichnet. Die EU-Kommission hatte maximal eine Million Euro im Jahr zugesagt – allerdings läuft es so, dass Finance Watch für jeden Euro, den es an anderer Stelle einsammelt, einen Euro von der Kommission erhält – eben bis zu maximal eine Million Euro. Sammelt Finance Watch weniger ein, bekommt die Organisation auch weniger EU-Mittel. Drei Prozent des Budgets steuern die 107 Mitgliedsorganisationen von Finance Watch bei – unter anderem Verbraucher- und Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften aus ganz Europa. Den Rest müsse die Organisation selbst eintreiben, was enorme Kraft koste, so Lallemand.

Die Organisation hat 16 Beschäftigte, die überwiegend Erfahrung aus dem Finanzsektor mitbringen. So war es von Anfang an gedacht – es sollten Expert:innen aus der Finanzbranche rekrutiert werden. Nur sind die natürlich hohe Gehälter gewöhnt.

Mehr als 1700 Lobbyist:innen tummeln sich in Brüssel

Büros in anderen Städten als Brüssel wurden nicht eröffnet. „Zuletzt kamen wir auf ein jährliches Budget von etwa 1,5 Millionen bis zwei Millionen Euro“, sagt Lallemand. Zum Vergleich: Die Finanzlobby ist in Brüssel laut der Lobbywatch-Organisation Corporate European Observatory mit mehr als 1700 Lobbyist:innen unterwegs und gibt jährlich mindestens 120 Millionen Euro für die Beeinflussung der Politik dort aus. Alleine das Jahresbudget für Lobbying der Bank HSBC – also eines einzigen Instituts – betrug im Jahr 2016 laut der Organisation 1,5 bis 1,75 Millionen Euro.

„Uns war bei der Gründung aber natürlich klar, dass eine kleine NGO wie Finance Watch nicht die Schlagkraft hat, der Bankenlobby die Stirn zu bieten“, sagt der EU-Abgeordnete Bullmann. „Es ging darum, kleine Nadelstiche zu setzen, die zu neuen Diskussionen führen und Inspiration geben.“

Das, findet Lallemand, ist Finance Watch schon gelungen. Man habe ein Gegengewicht zur Bankenlobby in die politischen Diskussionen gebracht. Die EU-Kommission bitte Finance Watch häufiger um Input, wenn es um neue Regulierungsvorhaben gehe. Es sei jedoch schwieriger geworden, das Interesse der Öffentlichkeit für Finanzthemen zu gewinnen – das sei nach 2008 noch anders gewesen, so Lallemand.

Genau da sieht Sven Giegold, EU-Abgeordneter der Grünen und ebenfalls Mitgründer von Finance Watch, eine Schwachstelle der Organisation. „Es ist Finance Watch nicht gelungen, ihre hohe Fachkompetenz mit medialer und bürgernaher Reichweite auszustatten“, sagt er. Dass das anders gehe, zeige der mediale Erfolg der 2018 gegründeten Bürgerbewegung Finanzwende in Deutschland. Diese setze auf starke Kampagnen – sei es zur Riester-Rente, Cum-Ex-Geschäften oder Machenschaften des Finanzdienstleisters MLP – und sei damit öffentlich sehr erfolgreich. „Um eine neue Organisation stark zu machen, braucht es Kampagnenarbeit“, sagt Giegold.

Er selbst hat damit Erfahrung, war er doch einst ein Mitgründer von Attac Deutschland. Auch die Klagen über die mangelnde Finanzierung von Finance Watch kann er nicht nachvollziehen. „Es gibt Möglichkeiten für NGOs, sich ausreichend zu finanzieren. Finance Watch müsste diese Möglichkeiten nur nutzen“, sagt er.

Als Enttäuschung über die Arbeit von Finance Watch will Giegold seine Bemerkungen aber nicht verstanden wissen. „Ich bin einfach differenziert“, sagt er. „Finance Watch hat die Finanzstimmen in Brüssel definitiv reicher gemacht. Es ist eine Lobbyorganisation mit einer hohen Sachkompetenz, nicht nur bei einem Einzelthema, sondern in der Breite“, betont er.

Lallemand will die Kompetenz seiner NGO in den kommenden Jahren nutzen, um der mächtigen Bankenlobby wenigstens ein bisschen etwas entgegenzusetzen. Einige Schwerpunkte nennt er: Finance Watch kämpfe weiterhin für mehr Eigenkapital in Banken und eine Verkleinerung der Institute, damit sie eben nicht zu groß seien, um im Notfall abgewickelt zu werden. Die NGO will Verbraucher:innen etwa vor Wucherkonditionen schützen, das Thema Nachhaltigkeit stehe ebenfalls weit oben auf der Agenda. Und er hofft, dass die Corona-Pandemie dazu führen wird, dass das Gesellschaftssystem und damit auch das Finanzsystem als Ganzes stärker hinterfragt wird. „Viele Leute wollen Veränderungen“, ist er sich sicher.

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Nina Luttmer

Wirtschaftsredakteurin

Über den/die Verfasser*in

Nina Luttmer ist Wirtschaftsredakteurin der Frankfurter Rundschau.

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