Klimarisiken und Finanzstabilität: Zögern wird teuer

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Die Finanzierung fossiler Aktivitäten ist zu einem systemischen Risiko für die Finanzwelt geworden. Die EU-Aufsichtsregeln für den Banken- und Versicherungssektor – bei weitem die größten Geldgeber der fossilen Brennstoffindustrie – werden derzeit von der Europäischen Kommission überprüft. Eine Gelegenheit für die Regulierungsbehörden, die einzige zuverlässige Waffe gegen dieses Finanzrisiko einzusetzen – die Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen.

Anm.: Dieser Beitrag ist die Übersetzung eines Beitrags, der ursprünglich in englischer Sprache auf der Webseite von Finance Watch erschienen ist.

Nach jahrelangen Warnungen vor den enormen makroökonomischen Folgen der sich entfaltenden Klimakrise [1] erkennen die Finanzaufsichtsbehörden endlich an, dass regulatorische Maßnahmen zu Klimarisiken eine Notwendigkeit sind, um ihren Auftrag zur Finanzstabilität zu erfüllen [2].

In der Tat schaffen die Finanzinstitute durch die Finanzierung der fossilen Brennstoffindustrie sowohl Mikrorisiken auf Institutsebene als auch systemische Risiken, was Finance Watch als „Teufelskreis der Fossilen Finanzierung“ bezeichnet (siehe Infografik unten). Die Finanzierung fossiler Brennstoffindustrien ist ein Risiko für die Finanzstabilität, welches unzweifelhaft unter das derzeitige Mandat der Aufsichtsbehörden fällt.

Der Teufelskreis der Fossilen Finanzierung: Die Finanzierung des fossilen Energiesektors ermöglicht den Klimawandel, und der Klimawandel bedroht die finanzielle Stabilität.

 

Wie erwartet – und wegen der Wirkung regulatorischer Maßnahmen auf die Finanzmärkte – verfolgen die Aufsichts- und Regulierungsbehörden einen vorsichtigen Ansatz beim Umgang mit dem Problem der Klimarisiken. Aber die Art ihres Handelns zeigt, dass sie die „Tragik des Zeithorizonts“, nämlich dass sich negative Auswirkungen der Klimakrise auf das Finanzsystem zunehmend verstärken, nicht berücksichtigen.

Aufsichts- und Regulierungsbehörden, wie beispielswiese die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) [3], haben selbst beschrieben, dass klimabedingte Extremereignisse von zunehmender Häufigkeit, genannt „Green Swans“, zum einen von systemischer Bedeutung, und zum anderen unmöglich zu quantifizieren sind. Allerdings unterlassen sie es, deutlich zu machen, dass die „Tragik des Zeithorizonts“ die Marktteilnehmer strukturell daran hindert, die tatsächlichen Kosten von Nachhaltigkeitsrisiken in ihre Aktivitäten einzubeziehen.

Doch bisher beruht das gesamte Instrumentarium, auf das sie ihr Handeln stützen, auf den folgenden Annahmen, die ihrer eigenen Diagnose und der „Tragik des Zeithorizonts“ völlig widersprechen:

  • Quantitativer Ansatz für Klimarisiken: Der derzeitige Ansatz der Szenarioanalyse, der Klimarisikomodellierung und der Offenlegungsanforderungen ist quantitativ und rückwärtsgewandt und daher nicht in der Lage, „green swans“ zu erfassen. Diese Instrumente konzentrieren sich auf „Übergangsrisiken“ und gehen kaum auf die wichtigeren und nicht quantifizierbaren „physischen und Extremrisiken“ ein.
  • Zugrundeliegende „Hypothese effizienter Märkte“: Der bisherige Ansatz basiert ausschließlich auf einem „Marktinformationsansatz“, bei dem die Marktteilnehmer naturgemäß neu entdeckte Risiken vollständig integrieren und ihr Anlageverhalten entsprechend anpassen würden, wodurch „Klimarisiken berücksichtigt werden“, ohne dass weiteres regulatrisches Handeln erforderlich wäre. Dieser Ansatz basiert auf Transparenz und Governance (wie die Säule-II- und Säule-III-Ansätze des Basler Rahmenwerks) und wird in der Regel als Ersatz für strenge, zuverlässige Anforderungen (sogenannte Säule-I-Regeln) angesehen, die das zu managende Risiko in adäquater Weise adressieren würden. Transparenz und Information können jedoch nur so viel bewirken, wie in Ermangelung einer angemessenen aufsichtsrechtlichen Regelung möglich ist.
  • Jahrzehntelanger Zeitrahmen für die Umsetzung: Unabhängig vom Instrumentarium soll der derzeitige Umsetzungszeitraum für ein marktweites, entschiedenes Handeln immer noch eine vorsichtige „weiche Landung“ für die Märkte erlauben. Solche langfristigen Regulierungsschritte sind nicht mit dem zeitlichen Verlauf der Klimakrise vereinbar. Bei Klimarisiken ist langsames Handeln gleichbedeutend mit Nichtstun.

Veranschaulichung der Unzulänglichkeit eines quantitativen Ansatzes für das Übergangsrisiko angesichts des systemischen Risikos des Klimawandels

 

In diesem Zusammenhang erscheint das langsame – und marktfreundliche – Maßnahmenpaket, das die Aufsichtsbehörden derzeit ins Auge fassen, als ein riskantes Aufschieben angesichts der größten Bedrohung für die Finanzstabilität, die es je gab. Das Ergebnis ihres Handelns wird wahrscheinlich genau das Gegenteil von dem sein, was sie anstreben, wenn nicht dringend zusätzliche Schritte unternommen werden. Vor dem Hintergrund eines schrumpfenden Kohlenstoffbudgets und der massiven Unterstützung der fossilen Energieindustrie durch den Finanzsektor [4] erhöht jeder verlorene Tag die systemischen Risiken der Klimakrise.

Es ist an der Zeit, dass Politik und Regulierungsbehörden nicht länger zurückschrecken und ihre einzige wirksame Waffe gegen finanzielle Risiken einsetzen: die Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen.

Der bestehende aufsichtsrechtliche Rahmen ermöglicht es bereits, zu handeln[5]. Währenddessen werden die EU-Aufsichtsvorschriften für die Banken- und Versicherungsbranche – die bei weitem wichtigsten Geldgeber der fossilen Energiewirtschaft – von der EU-Kommission im Jahr 2021 überprüft, was ein sofortiges Handeln ermöglicht[6].

In Europa fehlt der politische Wille und die Kommission wird von den Mitgliedstaaten unter Druck gesetzt, nicht zu handeln, weil diese aus kurzfristiger Sicht dem Schutz lokaler industrieller oder finanzieller Interessen Vorrang einräumen. Aber der politische Druck steigt von Tag zu Tag[7].[8]

Noch ist Zeit, die erforderliche Richtung einzuschlagen, sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene. Sind die Aufseher für die Aufgabe geeignet und erfüllen sie ihre Pflichten? Die derzeitige Mega-Show der internationalen Aufsichtsbehörden zum Thema Klimarisiken (die Green Swan-Konferenz, auf der Finance Watch durch Thierry Philipponnat auf dem Panel H vertreten ist) wird uns wahrscheinlich einen Eindruck davon vermitteln, wie sie zu diesem Thema stehen und wie wahrscheinlich es ist, dass die heutigen Aufsichtsbehörden als Retter oder Verhinderer in die Geschichte eingehen.

[1] Interview von Climate Central: 10 Years on, Climate Economists Reflect on Stern Review

[2] Beispiel, bei dem „sogar“ die US-Notenbank dem Network for Greening the Financial System (NGFS) beitritt

[3] BIS-Buch: The green swan – Central banking and financial stability in the age of climate change

[4] Bericht: Banking on Climate Chaos 2021

[5] Pressemitteilung:  EU has the tools to break the climate-finance doom loop

[6] Pressemitteilung: EU leaders at risk of letting down taxpayers if ‘climate-finance doom loop’ left unbroken

[7] The Green Swan Toolkit: Four priorities to ensure financial stability in the age of climate change

[8] Brief der Europaabgeordneten aller politischen Parteien an die Präsidentin der Europäischen Kommission

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Verfasser*in

Pablo Grandjean

Referent für Kommunikation

Über den/die Verfasser*in

Als Referent für Kommunikation bei Finance Watch kümmert sich Pablo um die Onlinestrategie, koordiniert das Netzwerk der französischen Mitgliedsorganisationen und betreut die Kampagne zu Klimarisiken.

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