Nur jeder siebte Deutsche will strenge EU-Fiskalregeln

0

Eine heute veröffentlichte Umfrage zeigt, dass EU-Bürger*innen in fünf befragten Ländern mehrheitlich dafür sind die EU Fiskalregen zu ändern, damit Regierungen mehr Kredite aufnehmen können, um den post-COVID Wiederaufbau zu finanzieren.

Anm.: Dieser Beitrag ist die eine auf Deutschland angepasste Übersetzung einer Pressemitteilung, die ursprünglich in englischer Sprache auf der Webseite von Finance Watch erschienen ist.

 

Während sich Europa von der weltweiten COVID-19-Pandemie erholt und das selbstgesteckte Ziel in Angriff nimmt bis 2050 „Netto-Null“ Kohlenstoffemissionen zu erreichen, hat eine neue Studie herausgefunden, dass weniger als einer von sieben (14%) der deutschen Befragten nicht damit einverstanden ist, dass die EU-Wirtschaftsregeln geändert werden sollten, um Regierungen erhöhte Ausgaben in bessere Bildung, Gesundheit, Sozialfürsorge sowie Arbeitsplätze zu ermöglichen

Die derzeitigen Schuldenregeln, die vor 30 Jahren als Teil des Maastricht Vertrags eingeführt wurden, begrenzen die Haushaltsdefizite der EU-Länder auf weniger als 3 % des BIP, während die Staatsverschuldung auf 60 % des BIP begrenzt ist. Die Regeln wurden auf Eis gelegt, als die EU-Staaten sich bemühten ihre Volkswirtschaften während der Pandemie zu stützen.

Heute (15. März) treffen sich die Finanzminister aus ganz Europa mit den zuständigen EU-Kommissaren auf einer Tagung des Rates “Wirtschaft und Finanzen” (ECOFIN), um die nationalen Haushaltsleitlinien für 2023 und die Ergebnisse der Überprüfung des EU-Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung zu diskutieren. Dieses Treffen findet im Vorfeld der Veröffentlichung des Kommissionsvorschlags zur Reform der Fiskalregeln statt, der im Juni bekannt gegeben werden soll.

Eine Umfrage unter Bürgerinnen und Bürgern in Frankreich, Deutschland, Italien, Irland und Dänemark ergab, dass mehr als die Hälfte der Befragten (54 %) der Meinung sind, dass die Regeln veraltet sind, da sie zu einer Zeit höherer Zinssätze aufgestellt wurden und angepasst werden sollten, da die Kreditaufnahme der öffentlichen Hand jetzt viel billiger ist. Fast drei von fünf (58 %) sind der Meinung, dass die Regeln nach der Pandemie weiterhin flexibel sein sollten, um den Ländern den Wiederaufbau zu ermöglichen. Mehr als die Hälfte (53 %) sind der Meinung, dass die Regeln angepasst werden sollten, um erhöhte öffentliche Ausgaben für grüne Infrastruktur und Innovation zu ermöglichen, um den Klimawandel zu bekämpfen und die die Netto-Null-Ziele der EU zu erreichen.

Fast drei von fünf Befragten (57 %) stimmten zu, dass die EU-Wirtschaftsregeln geändert werden sollten, um höhere Staatsausgaben dort zu ermöglichen, wo sie benötigt werden, z. B. in den Bereichen Gesundheit und Bildung.

Gleichzeitig sind fast zwei Drittel (64 %) der befragten EU-Bürgerinnen und Bürger besorgt über die möglichen Auswirkungen einer Sparpolitik, sollte die EU versuchen, Regierungen zu zwingen ihre Kreditaufnahme zu reduzieren, um ihre Schulden in den nächsten fünf Jahren abzubauen. In Irland und Italien, zwei der Länder, die von den Sparmaßnahmen nach der Finanzkrise von 2008 am stärksten betroffen waren, sind es sogar 74 % bzw. 78 %.

Die Hälfte (50 %) der befragten Deutschen ist der Meinung, dass die Regeln flexibel bleiben sollten, damit Länder Kredite aufnehmen können, um einen Wiederaufbau nach der Pandemie zu ermöglichen. 42 % der Befragten sind der Meinung, dass die Regeln angepasst werden sollten, damit Regierungen ihre Ausgaben zur Bekämpfung des Klimawandels erhöhen können.

Deutschland war unter Angela Merkel eine der strengsten Verfechter strikter Fiskalregeln. Jedoch stimmte weniger als jeder Fünfte (19 %) der Befragten nicht zu, dass die EU-Wirtschaftsregeln geändert werden sollten, damit die Regierungen ihre Ausgaben für grüne Infrastruktur und Innovation erhöhen können, um den Klimawandel zu bekämpfen.

Dies ist eine potenziell bedeutende Zahl für die Mitte-Links-Regierung von Olaf Scholz, die gerade versucht ihre Energiepolitik radikal zu ändern.

Dänemark gehört traditionell zu den „Sparsamen Vier“ in der EU. Weniger als jeder sechste Befragte (16 %) in Dänemark teilt nicht die Meinung, dass die EU-Vorschriften zur Begrenzung der Schuldenaufnahme geändert werden sollten, um die erforderlichen Ausgaben zur Bekämpfung des Klimawandels zu ermöglichen.

Auf die Frage, ob die Europäische Union die Befugnis haben sollte, die Schuldenaufnahme der Mitgliedstaaten zu begrenzen, und damit Ausgaben für Gesundheit, Bildung und Umweltschutz einzuschränken, waren die Befragten geteilter Meinung: 36 % stimmten dem zu, 33 % lehnten es ab, und 24 % stimmten weder zu noch lehnten es ab.

Frank Van Lerven, leitender Wirtschaftswissenschaftler und Programmleiter für Makroökonomie bei der New Economics Foundation, die den Bericht in Auftrag gegeben hat, sagte: „Die Ereignisse der letzten zwei Jahre haben zu einem Paradigmenwechsel in der europäischen Politik und Gesellschaft geführt. Wie diese Umfrage zeigt, wissen selbst die fiskalisch konservativsten Europäer, dass es keinen Sinn hat, zu versuchen, die Uhr auf 1992 zurückzudrehen. Stattdessen ist es an der Zeit sich auf die Zukunft vorzubereiten: mit einem neuen Ausgabenmodell das nachhaltigen Wachstum ermöglicht.“

Benoît Lallemand, Generalsekretär von Finance Watch – der paneuropäischen Nichtregierungsorganisation, die sich dafür einsetzt die Finanzwirtschaft in den Dienst der Gesellschaft zu stellen – sagte: „Vielen ist schon seit einiger Zeit klar, dass die Fiskalregeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts aus den neunziger Jahren nicht den Bedürfnissen der Mehrheit der Europäerinnen und Europäer entsprechen. Angesichts der historisch niedrigen Zinssätze, die die Kreditaufnahme erleichtern, und der dringenden Notwendigkeit, unsere Volkswirtschaften wieder aufzubauen und für einen gerechten und umweltfreundlichen Übergang zu sorgen, ist es jetzt an der Zeit, dass Europa seine Einstellung zu öffentlichen Ausgaben und Schulden ändert.”

Professor Gustav A. Horn, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen und Berater der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), sagte: „Wir leben in Zeiten, die unter dringenden Umständen hohe Investitionen in eine nachhaltige und sichere Zukunft erfordern. Dies ist nicht der Zeitpunkt, um fiskalische Regeln anzuwenden, denen es an ökonomischer Vernunft fehlt.“

Die Umfrage fällt mit der Veröffentlichung eines Manifests für eine grüne, gerechte und demokratische europäische Wirtschaft zusammen. Das von prominenten AkademikerInnen, Denkfabriken und zivilgesellschaftlichen Organisationen aus ganz Europa unterzeichnete Manifest fordert eine Wirtschaftspolitik, die „dem Abbau sozioökonomischer, intergenerationeller und geschlechtsspezifischer Ungleichheiten, der Verwirklichung sozialer Rechte und dem Klima- und Umweltschutz” dient.

Im Februar veröffentlichte Finance Watch das Kurzdossier Breaking The Stalemate, in dem die wichtigsten Voraussetzungen für eine Reform der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts dargelegt werden. Dazu gehören die Abschaffung der willkürlichen Schuldengrenze von 60 %, länderspezifische Schuldenpfade, die auf länderspezifischen Schuldentragfähigkeitsanalysen beruhen, Spielraum für qualitativ hochwertige, zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben sowie ein besseres Verständnis und eine bessere Überwachung von klimabedingten Fiskalrisiken.

Die Umfrage im Auftrag der New Economics Foundation wurde von Censuswide durchgeführt. Vom 18. bis zum 23. Februar 2022 wurden 5.000 Bürgerinnen und Bürger ab 18 Jahren in Deutschland, Frankreich, Italien, Dänemark und Irland befragt, wobei 1.000 Verbraucher pro Land befragt wurden. Censuswide ist Mitglied der Market Research Society, die auf den ESOMAR-Grundsätzen basiert, und beschäftigt auch deren Mitarbeiter.

Das Manifest für eine grüne, gerechte und demokratische europäische Wirtschaft wird von über 250 führenden europäischen Organisationen der Zivilgesellschaft, Gewerkschaften, Denkfabriken sowie Akademikerinnen und Akademikern aus allen 27 europäischen Ländern unterstützt.

Zu den Unterzeichnern gehören Olivier Blanchard, Robert-Solow-Professor für Wirtschaftswissenschaften, Eckhard Hein, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, Gustav A. Horn, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen und Berater der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), und Philipp Heimberger, Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche.

0 Kommentare
Hinterlasse einen Kommentar
0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

Ihre Email-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit * gekennzeichnet.

Ähnliche Artikel

Unser Newsletter

Die wichtigsten Mitteilungen direkt in Ihr Postfach

Das Blog für eine Finanzwirtschaft, die der Gesellschaft dient Newsletter