EU-Aufbauplan: 10 Grundsätze für einen nachhaltigen Aufbau

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Am 2. Oktober 2020 veröffentlichte Finance Watch ein Briefing, das Gesetzgeber*innen helfen soll, die vorgeschlagene Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) zu stärken, die das Kernstück des 750-Milliarden-Euro schweren Next Generation EU-Plans (NGEU) bildet.

Anm.: Dieser Beitrag ist die Übersetzung eines Briefings, das ursprünglich in englischer Sprache auf der Webseite von Finance Watch erschienen ist.

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Kurzzusammenfassung der 10 Prinzipien für eine nachhaltige Erholung (auf „+“ klicken um den Text auszuklappen):

1 - Resilienz zur Vermeidung zukünftiger Disruptionen

Die Covid-19-Krise hat uns gezeigt, wie störungsanfällig unser Wirt schaftssystem ist und wie sehr wir Disruptionsrisiken ausgesetzt sind. Aber der vom Menschen verursachte Klimawandel wird wahrscheinlich noch wesentlich mehr Zerrüttung mit sich bringen als diese und künftige Pandemien. Der Weltklimarat IPCC hat vorausgesagt, dass bis zum Ende des Jahrhunderts die Temperaturen um 3,7 – 4,8°C ansteigen werden, wenn wir so weitermachen wie bisher. Massive Störungen sind zu befürchten – von Dürren, Waldbränden, großenklimabedingten Migrationsströmen und weniger Bestäubung, bis hin zu Kämpfen um den Zugang zu Frischwasser und Nahrung, steigenden Meeresspiegeln, Überschwemmungen, Wirbelstürmen, Pandemien und vielem mehr.

Die Covid-19-Krise hat bestätigt, was wir bereits wussten: Die Weltwirtschaft so weiterzuführen wie vor der Pandemie und gleichzeitig eine nachhaltige Zukunft für die Welt aufbauen zu wollen, ist unvereinbar. Der drastische konjunkturelle Einbruch – die Weltwirtschaftsleistung sank um 5,2%, wobei viele Orte noch härter getroffen wurden – brachte eine Reduzierung der globalen CO2-Emissionen um 8%. Die Lektion ist klar: Es ist möglich, die CO2-Emissionen zu senken, aber dafür müssen sich die Dinge ändern.

Kurz gesagt, eine Rückkehr zum „Business as usual“ bedeutet bald das Ende des „Business as usual“ inmitten großen Leidens und gro ßer Zerrüttung. Wir müssen die Richtung ändern und den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft vollziehen. Und zwar schnell. Die Covid-19-Krise, die viel Leid mit sich brachte, birgt auch eine Chance, wenn wir folgende Frage richtig beantworten: Wie können wir aus dem Wiederaufbau einen Neuanfang machen?

2 - Die Aufbau- und Resilienzfazilität: mehr Erholung als Widerstandsfähigkeit

Das in diesem Sommer vereinbarte, 750 Milliarden umfassende COVID19-Aufbaupaket der EU namens „Next Generation EU“ (NGEU) beinhaltet in seinem Kern eine Aufbau- und Resilienzfazilität („Recovery and Resilience Facility“, kurz RRF), durch die umfassende finanzielle Unterstützung für öffentliche Investitionen und Reformenbereitgestellt wird. Leider sieht es derzeit danach aus, dass dieser zentrale Fonds des Wiederaufbauplans in erster Linie das kurzfristige Wirtschaftswachstum fördern und ein „Business as usual“ wiederherstellen soll. Resilienz und Nachhaltigkeit stehen an zweiter Stelle. So sollen beispielsweise vor allem Arbeitsplätze und Wachstum gefördert werden, und es ist nur zweitrangig, ob dies nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten zugutekommt oder nicht. Das Ergebnis ist ein Erholungs-Resilienz-Paradoxon: ein Wiederaufbau des „Business as usual“ macht die Wirtschaft nicht widerstandsfähig. Die bessere Nachricht ist, dass das NGEU-Aufbaupaket, inklusive der RRF-Sonderfazilität, immer noch in ein mächtiges Instrument der gesamteuropäischen Solidarität verwandelt werden kann, das eine neue und nachhaltige Richtung für Europa vorgibt.

3 - Förderung nachhaltiger Aktivitäten, einschließlich Übergangs- und Stützungsaktivitäten

Für eine dauerhafte Erholung muss die gesamte RRF sich der Unterstützung nachhaltiger Aktivitäten widmen – und diese müssen klar definiert werden. Erstaunlicherweise verweist der Vorschlag für eine Verordnung zur Einrichtung einer Aufbau- und Resilienzfazilität nicht auf die EU-eigene Taxonomie-Verordnung, deren Klassifikationssystem für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten einen wirksamen und nützlichen Rahmen für die RRF bieten könnte. Insbesondere die Aufnahme von Übergangs- und Stützungsaktivitäten (zusätzlich zu kohlenstoffarmen Aktivitäten) in die Taxonomie macht sie für die RRF geeignet. Neben der Ausrichtung auf neue nachhaltige Aktivitäten würde dies auch bedeuten, jene traditionellen (und derzeit nicht nachhaltigen) Unternehmen zu unterstützen, die in eine Umstellung ihrer Betriebsstrukturen und in die Aufnahme anderer Aktivitäten investieren, um nachhaltig zu werden. Dies würde bedeuten, dass die Mittel in einem großen Teil der Wirtschaft eingesetzt werden könnten und einen großen Beitrag zur Überwindung des Widerspruchs zwischen Erholung und Resilienz leisten würden, der in der aktuellen Version der RRF noch vorhanden ist.

4 - (Überhaupt) keine nicht-nachhaltigen Aktivitäten fördern

Das Gegenstück zur Unterstützung nachhaltiger Aktivitäten sollte darin bestehen, nicht-nachhaltigen Aktivitäten keine Unterstützung zu gewähren. Die Förderung nicht-nachhaltiger Aktivitäten würde den Bemühungen zur Förderung nachhaltiger Aktivitäten direkt entgegenwirken (und die dafür gewährten Kredite und Zuschüsse verschwenden). Und es wäre doppelt verschwenderisch, da es keine Zukunft für nicht-nachhaltige Geschäfte gibt: Entweder wir stellen sie ein oder die aus ihnen resultierende Zerrüttung beendet sie. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Unterstützung nicht-nachhaltiger Aktivitäten zu einem dreifachen Verlust führt: baldiger Geldverlust, damit zusammenhängende ebenfalls baldige Arbeitsplatzverluste und schließlich die künftige wachsende Zerrüttung der Gesellschaft.

5 - Menschen unterstützen, was auch immer es kostet

Ein Wirtschaftswandel in der Größenordnung, die erforderlich ist, um die schlimmsten Folgen des vom Menschen verursachten Klimawan dels zu vermeiden, wird natürlich zu anderen Formen der Zerrüttung führen. Das Verschwinden nicht-nachhaltiger Aktivitäten wird auch zum Verschwinden von Arbeitsplätzen führen. Anstatt durch die RRF klimaschädliche Aktivitäten zu fördern, sollten vielmehr die Menschen unterstützt werden, die derzeit in diesen Bereichen arbeiten. Das Geld sollte für Umschulungen  ausgegeben werden, aber auch für die Unterstützung derjenigen, die sich nicht umschulen lassen können. Das könnte in Form eines garantierten Einkommens geschehen, das ausreicht, um die Wahrung der Menschenwürde zu gewährleisten

6 - Klare Definition von „grün“ und „nicht erheblich beeinträchtigend“

Die NGEU und die RRF haben sich zum Ziel gesetzt, mindestens 30% „grün“ zu sein, wobei der Grundsatz „keiner erheblichen Beein trächtigung“ gelten soll. Auch hier sollte die Taxonomie-Verordnung für eine klare Definition verwendet werden. Zunächst sollte „nachhaltig“ (wie in der Taxonomie-Verordnung definiert) „grün“ ersetzen. Zweitens sollte die in der Taxonomie-Verordnung entwickelte Logik angewendet werden, dass nur solche wirtschaftlichen Aktivitäten unterstützt werden, die keine erheblichen Beeinträchtigungen der anderen Umweltziele verursachen. Das bedeutet nur solche, die entweder helfen, andere Aktivitäten nachhaltig werden zu lassen, oder die den Übergang zu der für den jeweiligen Sektor höchstmöglichen Ökobilanz ermöglichen. Dies wäre ein pragmatischer und wirksamer Ansatz, um für viele bestehende Aktivitäten Anreize für den Übergang zur Nachhaltigkeit zu schaffen.

7 - Aufbau- und Resilienzpläne der Mitgliedstaaten im Hinblick auf Nachhaltigkeit bewerten

Der Europäische Rat hat erklärt, dass „grundsätzlich alle Ausgaben der EU mit den Zielen des Übereinkommens von Paris vereinbar sein sollten“ – dies wurde jedoch nicht als Kriterium der Europäischen Kommission für die Beurteilung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne aufgenommen. Das sollte es aber. Der gesamte Haushalt eines Landes sollte bewertet werden und nicht nur die wenigen Projekte, die für die RRF vorgeschlagen werden – alles andere könnte ein Verschwendung von Steuergeldern und widersprüchliche Staatsausgaben bedeuten. Genauer gesagt sollten die Staatsetats nach dem Grundsatz „keiner erheblichen Beeinträchtigung“ beurteilt werden.
Insbesondere Subventionen für fossile Brennstoffe müssen als unvereinbar mit der Ausrichtung des RRF-Fonds betrachtet werden. Auch das gesamte Umfeld gilt es zu berücksichtigen – zum Beispiel sollten Aktivitäten, die dem Emissionshandelssystem unterliegen, nicht RRF-Mittel erhalten, wenn es keinen glaubwürdigen Über-
gangsplan gibt. Trotz all seiner Bedeutung stellt der Gesamtbetrag der RRF nur einen Bruchteil der Haushaltsmittel dar, die die Länder für den Wiederaufbau bereitstellen werden – die Bewertung gesamter Staatshaushalte würde es der EU ermöglichen, die RRF-Mittel als Katalysator für Veränderungen zu nutzen.

8 - Stimmigkeit zwischen Ressourcen und der Verwendung von Erlösen

Die Ermächtigung der Europäischen Kommission, bis zu 750 Milliar den Euro an Krediten für die NGEU aufzunehmen, war ein Fortschritt für die gesamteuropäische Solidarität. Die Art dieser Kreditaufnahme sollte jedoch mit den Zielen der Fazilität im Einklang stehen. Das Ziel der Kommission, 30 % über grüne Anleihen bzw. Green Bonds zu finanzieren, ist viel zu niedrig angesetzt. Es gibt keinen Grund, nicht 100 % des Geldes über grüne Anleihen aufzunehmen. Es ist auch unbedingt erforderlich, dass die EU ihre eigenen (noch zu verabschiedenden) Standards für grüne Anleihen anwendet (und in der Zwischenzeit den bestehenden Empfehlungen der technischen Expertengruppe folgt). Bei allen Geldern, die nicht über grüne Anleihen aufgenommen werden, sollte klar ersichtlich sein, inwieweit sie mit der EU-Taxonomie übereinstimmen. Eine solche  Transparenz ist unerlässlich, damit der gesamte NGEU-Prozess etwas bewirken kann

9 - Reform der wirtschaftspolitischen Steuerung auf EU-Ebene, um Nachhaltigkeit zu verankern

Der Rahmen für die wirtschaftspolitische Steuerung der Europäischen Union bedarf dringend einer Überarbeitung, insbesondere im Hinblick auf die finanzpolitischen Regeln. Die haushaltspolitischen Zwänge in der Eurozone waren nie eine gute Idee und haben nach der Finanzkrise zu Sparmaßnahmen beigetragen, die viel Schadenangerichtet haben. Jetzt machen sie mehr denn je keinen Sinn und sind angesichts der Covid-Krise zu Recht ausgesetzt worden. Sie sollten ganz und gar abgeschafft werden. Künftige öffentliche Defizite und Schuldenstände werden zwangsläufig über den Schwellenwerten von 3% und 60% liegen. Denn entweder haben die öffentlichen Stellen massiv investiert, was nötig ist, um eine nachhaltige und gerechte Gesellschaft aufzubauen, oder aber die Wirtschaft ist zusammengebrochen, weil dies unterlassen wurde. Darüber hinaus sollte die wirtschaftspolitische Steuerung der EU sowohl Kriterien für Nachhaltigkeit als auch für soziale Eingliederung im Rahmen eines „grünen und gerechten Übergangs“ fördern, und diese sollten in die Bewertung nationaler Aufbau- und Resilienzpläne einbezogen werden.

10 - Geld kann auf Bäumen wachsen (für Staaten)

Die Abschaffung der haushaltspolitischen Zwänge in der EU bietet sich aktuell erst recht an, da die Regierungen sich mit niedrigen oder sogar negativen Finanzierungskosten Kredite beschaffen können, während die Inflation ebenfalls hartnäckig niedrig oder sogar negativ ist (und die anhaltende Rezession den Deflationsdruck wahrscheinlich noch verstärken wird). Selbst eine beispiellose Ausweitung der Bilanzen der EZB und anderer Zentralbanken hat zu keinem nennenswerten Inflationsdruck geführt, so dass die direkte Finanzierung von Haushaltsdefiziten durch die Zentralbanken ein weiteres Instrument für die Regierungen darstellt. Angesichts der dringenden Notwendigkeit unsere Volkswirtschaften umzugestalten, ist es jetzt an der Zeit, Kredite aufzunehmen und in einen gerechten, grünen Übergang für eine nachhaltige Zukunft zu investieren.

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